Aktuelle Situation der Flüchtlingshilfe im Rhein-Neckar-Kreis
( fwu – 13.11.15 – Aus Daten des Landratsamtes und der Gemeinden).
Das Thema „Flüchtlingshilfe“ ist seit Monaten in den Medien täglich präsent. Die Krisen im Nahen und Mittleren Osten und die Bürgerkriege im Norden Afrikas aber auch wirtschaftliche Beweggründe führen weltweit zu einem erheblichen Anstieg der Zahl an Menschen auf der Flucht. Für das Jahr 2015 muss nach der aktualisierten Prognose (Stand August 2015) des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) von 800.000 Menschen ausgegangen werden, die asylsuchend in die Bundesrepublik kommen. Nach einem auf Bundesebene festgelegten Verteilungsschlüssel werden von diesen Menschen 12,97 % auf Baden-Württemberg verteilt. Die Aufnahme der Flüchtlinge erfolgt aus rechtlicher Sicht in drei verschiedenen „Bereichen“ mit unterschiedlichen Zuständigkeiten, Aufgabenstellungen und Verweildauern:
I. Landeserstaufnahme (Zuständigkeit BAMF)
In der Landeserstaufnahme werden ankommende Menschen nach dem Königsteiner Schlüssel (urspr. Regelung der Finanzbeziehungen zwischen den Ländern) auf die Bundesländer verteilt, in denen sie in Landeserstaufnahmestellen (LEA) aufgenommen werden. Der Anteil, den ein Land danach tragen muss, richtet sich zu zwei Dritteln nach dem Steueraufkommen und zu einem Drittel nach der Bevölkerungszahl. In den Landeserstaufnahmestellen finden unter anderem die Registrierung, die erkennungsdienstliche Behandlung sowie die Gesundheitsuntersuchung statt.
In Baden-Württemberg gibt es solche Erstaufnahmestellen aktuell in Karlsruhe, Meßstetten und Ellwangen. Zu der Erstaufnahmestelle in Karlsruhe gehören auch die Aufnahmestellen in Mannheim und Heidelberg, die zusammen mit der Erstaufnahmestelle in Karlsruhe insgesamt rd. 70 % der Flüchtlinge in Baden-Württemberg aufnehmen.
Zugangsentwicklung Asylbewerberunterbringung seit 2007
Bund Land Rhein-Neckar-Kreis
Bis Ende September 2015 wurden bundesweit 274.923 Erstanträge (+ 135,7 % im Vergleich zu 2014) und 28.520 Folgeanträge (+47,2 % im Vergleich zu 2014) gestellt. Bis Ende September 2015 wurden dem Rhein-Neckar-Kreis 2.027 Asylbewerber zzgl. 201 Folgeantragsteller zugewiesen.
Quelle: Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis
Monatlicher Zugang von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern (Erstanträge) in Baden-Württemberg in den vergangenen 12 Monaten
II. Vorläufige Unterbringung (Zuständigkeit Stadt- und Landkreise)
Aus den Erstaufnahmestellen werden die Asylbewerber und Asylfolgeantragsteller dann nach einem an der Einwohnerzahl orientierten Schlüssel auf die Stadt- und Landkreise zur vorläufigen Unterbringung zugewiesen. Die Kreise haben die Asylbewerber in Gemeinschaftsunterkünften bzw. in Wohnungen unterzubringen. Die Unterkünfte hat der Landkreis zu errichten, zu verwalten und zu betreiben. In der vorläufigen Unterbringung des Rhein-Neckar-Kreises befinden sich mit Stand vom 07. November 2015 rund 4.000 Flüchtlinge. Bis zum Ende dieses Jahres wird die Anzahl voraussichtlich auf 5.876 Flüchtlinge steigen.
Derzeit hat das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis in 24 kreisangehörigen Städten und Gemeinden Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften (Gewerbehallen, Kreissporthallen etc.) und Wohnungen vorläufig untergebracht. Die Gemeinde Nußloch stellt derzeit keine Plätze für die vorläufige Unterbringung zur Verfügung, da Einheiten im Größenbereich ab 50 Personen aufwärts gesucht werden und diese derzeit in unserer Gemeinde nicht zur Verfügung stehen.
Aktuell werden im Rhein-Neckar-Kreis 16 Gemeinschaftsunterkünfte mit einer Gesamtkapazität von insgesamt max. 2.105 Wohnheimplätzen betrieben. Darüber hinaus sind 926 Personen in Wohnungen und weitere 797 Personen in Notunterkünften untergebracht. Die Gemeinschafts-Unterkünfte sind demnach voll belegt.
Der Aufenthalt in der vorläufigen Unterbringung endet mit Erteilung eines Aufnahmetitels oder spätestens 24 Monate nach der Aufnahme durch die untere Aufnahmebehörde (Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis).
Statistik des Rhein-Neckar-Kreises über die 14 zugangsstärksten Herkunftsländer in der vorläufigen Unterbringung (Stand vom 15.10.2015 für das Jahr 2015, 2.997 Personen)
Aus dieser Grafik geht hervor, dass viele Menschen aus Ländern des Westbalkans Zuflucht im Rhein-Neckar-Kreis suchen. Die Entwicklung ist allerdings rückläufig. Aktuelle Zahlen zeigen, dass lediglich noch ca. 13,5 % der Flüchtlinge aus diesen sicheren Herkunftsstaaten einreisen und Asyl suchen.
III. Anschlussunterbringung (Zuständigkeit Städte und Gemeinden)
Die Asylbewerber und Asylfolgeantragsteller verlassen die vorläufige Unterbringung mit Unanfechtbarkeit der Entscheidung über den Asylantrag oder den Folgeantrag. Es erfolgt also spätestens nach 24 Monaten eine Verteilung auf die einzelnen Städte und Gemeinden, welche ab diesem Zeitpunkt für die Anschlussunterbringung zuständig sind. Wie bereits erläutert, werden für das Jahr 2015 insgesamt 5.000 Flüchtlinge prognostiziert, die allerdings erst zeitversetzt – spätestens nach 24 Monaten – den Gemeinden zugeteilt werden. Die Erstattung der Kosten für die Unterbringung erfolgt durch den Landkreis max. in Höhe der ortsüblichen Miete. Darüber hinaus müsste eine Bezahlung durch die Gemeinde selbst erfolgen.
Die Zuteilung soll zukünftig schneller erfolgen, da bis zum 2. Halbjahr im Jahr 2016 die aktuell rd. 330.000 rückständigen Anträge beim Bundesamt für Integration und Flüchtlinge abgearbeitet sein sollen und das Verfahren bei geringer Bleibeperspektive beschleunigt werden soll. Das bedeutet, dass Menschen, die kaum Chancen auf Anerkennung haben – zum Beispiel aus sicheren Herkunftsstaaten – in besonderen Aufnahme-Einrichtungen untergebracht werden. Hier sollen die Verfahren innerhalb von drei Wochen abgeschlossen werden. Das politische Ziel ist demnach, dass diese Menschen in den Landeserstaufnahmestellen des BAMF verbleiben und somit keine Weiterleitung an die Stadt- und Landkreise für die vorläufige Unterbringung erfolgt.
Für den bisherigen Verteilungsschlüssel aus der vorläufigen Unterbringung der Stadt- und Landkreise in die Anschlussunterbringung der Städte und Gemeinden war die Einwohnerzahl maßgeblich. Zukünftig soll allerdings auch berücksichtigt werden, wenn der Kreis in Städten und Gemeinden Objekte kauft oder anmietet, um Wohnraum für die vorläufige Unterbringung zu schaffen. Diese Städte und Gemeinden sollen dann bei den Zuweisungen im Rahmen der Anschlussunterbringung entlastet werden, da in der Folge u.a. auch Plätze in den Kindertageseinrichtungen, Schulen usw. geschaffen werden müssen. Die Entlastung ist so geplant, dass abhängig von der Gemeindegröße und Anzahl der untergebrachten Personen für die vorläufige Unterbringung, die vorgesehenen Personen für die Anschlussunterbringung entsprechend reduziert werden.
Familiennachzug:
Anerkannte Asylbewerber haben nach geltender Rechtslage unter gewissen Voraussetzungen das Recht nach kurzer Zeit Familienangehörige (Ehepartner und leibliche Kinder) nachzuholen. Im Rahmen dieses sogenannten Familienzuzugs gehen Experten davon aus, dass sich die Zahl der zu integrierenden Personen zumindest um den Faktor drei bis vier erhöhen wird. Auch ein höherer Faktor kann nicht ausgeschlossen werden.
Regionale Unterschiede:
Dieser errechnete Korridor kann als Hilfestellung für die Berechnung der erwarteten Zugänge in der Anschlussunterbringung dienen. Allerdings sollte von der örtlichen Kommunalpolitik bei den darauf gründenden Maßnahmen unbedingt auch berücksichtigt werden, dass es durch die rechtlich garantierte Freizügigkeit der anerkannten Asylbewerber zu regionalen Verschiebungen kommen wird. Es ist daher nach den bisher gemachten Erfahrungen davon auszugehen, dass Asylbewerber nicht immer in den ihnen für die Anschlussunterbringung zugewiesen Kommunen verbleiben werden. Erste Erfahrungswerte zeigen, dass es einen Trend in Richtung der Ballungsräume gibt. Die ländlich geprägten Gebiete erfahren einen tatsächlichen Zugang, der eher unter der errechneten Größe liegt.
IV. Tatsächliche Auswirkung für die Gemeinde
Soweit zur Rechtstheorie und den gesetzlichen Rahmenvereinbarungen der Flüchtlingsunterbringung und -betreuung. Denn in Ermangelung einer „eigenen“ Gemarkung liegt es auf der Hand, dass sowohl Land als auch Landkreise die in ihre Zuständigkeit fallenden Aufgaben nur in Städten und Gemeinden erfüllen können. Damit hat die Flüchtlingsversorgung und -betreuung bereits mit dem Ankunftstag der Menschen in Baden-Württemberg einen unmittelbaren kommunalen und kommunalpolitischen Bezug. Dies wird in vielfältiger Weise bei nachfolgend genannten kommunalen Aufgabenfeldern deutlich:
- Bauleitplanung,
- Kinderbetreuung,
- Schule,
- Flüchtlingsbegleitung und -unterbringung,
- Integration,
- Wohnungsbau,
- Öffentliche Sicherheit und Ordnung,
- Gemeinde als Lebenswelt der Bürger.
Kommunen sind damit der zentrale Anker in der Bewältigung dieser Aufgaben. Umso wichtiger ist es, dass sie dabei von Bundes- und Landesebene anerkannt und unterstützt werden. Und angesichts der im Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebrachten Regelungen wird sich diese Rolle noch weiter verstärken. Damit wird die vorläufige Unterbringung mittelfristig an Bedeutung verlieren. Bei Erreichung der zwischen Bund und Ländern gesteckten Ziele dürfte es nach geltender Rechtslage letztlich nur noch zu einer Verteilung der abgelehnten Asylbewerber aus nicht sicheren Drittstaaten in die vorläufige Unterbringung kommen. Alle anerkannten Asylbewerber würden dann nach wenigen Monaten bereits direkt in die Anschlussunterbringung (also zu den Gemeinden) weitergeleitet werden.
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