Rezension: „Sacred Spaces and Sustainable Futures“ von Pfarrer Dr. Arul Lourdu

Dr. Arul Lourdu bei seiner Verabschiedung aus Leimen mit Oberbürgermeister John Ehret

(fwu – 21.9.25) Dr. Arul Lourdu, katholischer Priester, Wissenschaftler und sozial engagierter Brückenbauer zwischen Europa und Indien, hat mit „Sacred Spaces and Sustainable Futures“ ein Werk vorgelegt, das in mehrfacher Hinsicht als bedeutender Beitrag zur Entwicklungsforschung, zur Theologie und zur Praxis kirchlicher Sozialarbeit gewertet werden kann. Der Titel verspricht nicht nur eine Reflexion über die Verbindung von Glauben und Nachhaltigkeit, sondern erweist sich als konkrete Bestandsaufnahme und zugleich als zukunftsgerichtete Vision.

Kirche als Akteur im öffentlichen Raum

Bereits der Artikel hier im Leimenblog hebt hervor, dass Lourdu nicht allein als Theologe, sondern auch als Praktiker der Sozialarbeit schreibt. Sein jahrzehntelanges Wirken in Deutschland, Indien und darüber hinaus hat ihn geprägt: Er versteht die Kirche nicht als abgeschlossenen Kultort, sondern als handelnde Kraft im öffentlichen Raum. Die im Buch dokumentierte Arbeit der Madras Social Service Society (MSSS) wird so zum Modell, wie Glaube „in Aktion“ tritt – ein Aspekt, den auch der Artikel betont. Lourdu argumentiert damit weder abstrakt noch romantisierend, sondern führt den Leser durch eine empirisch untermauerte Analyse, die sich über acht große Teile entfaltet

Ein Konzil als Wegweiser

Das Buch setzt programmatisch beim Zweiten Vatikanischen Konzil an, insbesondere bei Gaudium et Spes, dessen 60-jähriges Jubiläum im Jahr 2025 gefeiert wird. Lourdu zeigt, dass die Aufforderung der Kirche, „die Freude und Hoffnung, die Trauer und Angst der Menschen von heute“ zu teilen, keine bloße Formel geblieben ist, sondern in Indien konkrete Gestalt angenommen hat. Gerade im Kontext von Chennai und Thiruvallur, wo Armut, Urbanisierung, Migration und ökologische Krisen aufeinandertreffen, wird deutlich, wie sehr kirchliche Initiativen zu sozialer Transformation beitragen können.

Forschung mit menschlichem Gesicht

Methodisch überzeugt Lourdu durch eine Verbindung von theologischer Reflexion, historischer Rekonstruktion und sozialwissenschaftlicher Feldforschung. Über 500 Befragte wurden einbezogen, deren Stimmen in Form von Fallstudien und Interviews dem Werk eine bemerkenswerte Authentizität verleihen

Damit unterscheidet sich das Buch von manch anderen kirchlich inspirierten Entwicklungsstudien, die oft auf programmatische Sprache beschränkt bleiben. Hier werden Menschen sichtbar – Frauen, Dalits, Jugendliche, ganze Dorfgemeinschaften –, deren Lebenswege durch MSSS-Programme geprägt wurden.

Probleme benennen, Erfolge würdigen

Feierliche Übergabe in Chennai: Erstes Exemplar für den Erzbischof von Madras-Mylapore Dr. George Antonysamy am 23.9.2025

Besonders hervorzuheben ist die Balance zwischen Kritik und Anerkennung. Lourdu verschweigt nicht die strukturellen Probleme von Entwicklungsarbeit: Abhängigkeit von staatlichen Programmen, die Gefahr der Bürokratisierung, die Spannungen zwischen urbanem und ruralem Raum. Dennoch zeichnet er ein überwiegend positives Bild, das belegt, dass nachhaltige Entwicklung dort gelingt, wo sie partizipativ, kontextsensibel und auf Würde gegründet ist.

Nachhaltigkeit als gelebte Verantwortung

Das theologische Fundament macht das Werk einzigartig. Lourdu argumentiert, dass nachhaltige Entwicklung im Sinne der Kirche mehr ist als Armutsbekämpfung. Sie ist eine Spiritualität der Verantwortung, die Beziehungen heilt – zu Gott, zur Gemeinschaft und zur Schöpfung. Damit erweitert er den gängigen Begriff von „Sustainability“ um eine ethische und transzendente Dimension. Gerade in einer Zeit, in der Nachhaltigkeitsdiskurse oft technokratisch geführt werden, ist dieser Ansatz von besonderer Aktualität.

Vom Konzept zur Praxis

Der Aufbau des Buches ist didaktisch klug gegliedert. Nach den theoretischen Grundlagen zu Community Development und Sustainable Livelihoods folgt eine theologische Rahmung, bevor MSSS mit seiner Geschichte, Struktur und Praxis ausführlich dargestellt wird. Besonders eindrücklich sind die Kapitel über die Graswurzelarbeit: Dort erfährt der Leser, wie Selbsthilfegruppen, Jugendverbände und Fraueninitiativen konkrete Verbesserungen in Bildung, Gesundheit und Einkommen erzielen. Am Ende wagt Lourdu einen Blick nach vorn: Er entwickelt eine strategische Agenda für die kommenden Jahrzehnte, die Digitalisierung, Klimaanpassung und neue Formen synodaler Partizipation einschließt.

Ein Autor, der selbst handelt

Unser Leimenblog-Artikel weist zudem darauf hin, dass das Werk in Lourdus langes Engagement für interkulturelle und interreligiöse Verständigung eingebettet ist. Seine Gründung von NGOs in Indien, Deutschland und Tansania sowie die persönliche Auszeichnung durch die Stadt Leimen unterstreichen, dass er nicht aus akademischer Distanz schreibt, sondern aus einer lebenslangen Praxis herausleimenblog.de. Diese Authentizität verleiht dem Buch Gewicht und Glaubwürdigkeit.

Verständlich, ohne zu vereinfachen

Sprachlich ist das Werk anspruchsvoll, aber zugänglich. Lourdu gelingt es, komplexe theoretische Konzepte wie das „Sustainable Livelihood Framework“ oder den Begriff der „missional legitimacy“ in eine Sprache zu übersetzen, die auch für Praktiker der Entwicklungsarbeit nachvollziehbar bleibt. Zugleich bleibt der theologische Ton spürbar, ohne ins Predigthafte zu kippen.

Ein Blick mit Tiefenschärfe

Kritisch ließe sich anmerken, dass die starke Fokussierung auf MSSS die Gefahr birgt, die Vielschichtigkeit anderer kirchlicher oder säkularer Entwicklungsakteure in Tamil Nadu zu vernachlässigen. Doch gerade darin liegt die Stärke des Buches: in der konsequenten Tiefenbohrung an einem Beispiel, das paradigmatisch für viele ähnliche Initiativen stehen kann.

Mehr als eine Festschrift

Insgesamt lässt sich sagen: Sacred Spaces and Sustainable Futures ist mehr als eine Festschrift zum Jubiläum von Gaudium et Spes oder einfach eine Fortschreibung seiner Dissertation. Es ist eine programmatische Einladung, Kirche neu als Akteurin nachhaltiger Entwicklung zu denken – eine Kirche, die nicht nur tröstet, sondern befähigt; die nicht nur betet, sondern handelt. Dr. Lourdu gelingt es, ein Brückenschlag zwischen Theologie und Praxis, zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Indien und der Welt.

Für Wissenschaftler, Entwicklungspraktiker, kirchliche Entscheidungsträger und interessierte Laien ist dieses Buch gleichermaßen empfehlenswert. Es zeigt, dass „Glaube in Aktion“ – wie es hier formuliert wird – nicht leere Phrase, sondern gelebte Realität sein kann.

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