Am Aktionstag Altenpflege formulierter Protest: „Der Pflege brennt der Kittel“

(fwu – 13.5.14) Am bundesweiten Aktionstag Altenpflege nahmen an einer Kundgebung vor dem Dr.-Ulla-Schirmer-Haus in Leimen ca. 50 Pflegekräfte der ev. Heimstiftung teil. Die Pflege ist deutlich unterfinanziert und die auf der Hand liegende demographische Entwicklung der nächsten 15 Jahre wird von der Politik weitgehend ignoriert.

Regionalgeschäftsführer Thomas Becker von der ev. Heimstiftung formulierte die Hintergründe des Aktionstages in seiner Ansprache so:

3718 - DUSH 1„Meine Damen und Herren, liebe Heimbewohnerinnen und Heimbewohner, liebe Mitarbeiter aus der Region Kurpfalz-Ortenau, … im schwäbischen würde man sagen: „der Pflege brennt der Kittel“! und das ist sicher nicht im Geringsten eine Übertreibung.  Ich darf Sie an das Jahr der Pflege – 2011, also gar nicht lange her – erinnern. Was ist da passiert? Ich bringe es auf den Punkt:  So gut wie nichts oder erschreckend wenig!

Keine Verbesserung der finanziellen Situation von zu Pflegenden und deren Angehörigen – Pflegebedürftigkeit ist zunehmend ein Armutsrisiko! Vollmundig angekündigte Versprechungen wie die Verbesserung der Attraktivität der Pflegeberufe – nicht mal im Ansatz hat sich hier etwas getan!

Ich zitiere Frau Staatsekretärin Widmann-Mauz, CDU am 25.05.11: „..Die langfristige Sicherstellung der pflegerischen Versorgung alter und gebrechlicher Menschen ist uns dabei ein besonderes Anliegen…“

Rückblickend darf man wohl sagen: dann hätten die dafür auch was tun müssen!  Außer einem Pflege-Bahr, einem der erfolglosesten Gesetz der damaligen Regierung und der zugegebenermaßen segensreichen Verbesserung der Situation dementiell erkrankter Menschen (87b) ist nichts passiert – Fazit: mager!

3718 - DUSH 2Nach den Veröffentlichungen des Statistischen Landesamtes wird die Anzahl der Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2030 um 43% auf rund 352.000 zunehmen. Auch zukünftig werden zwei Drittel der Pflegebedürftigen zu Hause und dort überwiegend von Angehörigen und Pflegediensten versorgt. Den Wunsch, so lange wie möglich zu Hause gepflegt zu werden, unterstützt die Evangelische Heimstiftung ausdrücklich!

Trotzdem zeigt die Erfahrung, dass mit höherer Pflegebedürftigkeit und durch die zunehmenden dementiellen Erkrankungen der Bedarf an professioneller Hilfe in stationären Einrichtungen zunimmt. Das bestätigt auch die Pflegestatistik: in der Vorausberechnung nach Art der Pflege wird trotz der Forderung „ambulant vor stationär“ deutlich, dass eine überproportionale Zunahme vollstationär gepflegter Personen um 54% auf rund 130.000 im Jahr 2030 zu erwarten ist.

Nach der aktuellen Pflegestatistik des Landes standen Ende 2011 für die vollstationäre Dauerpflege rund 98.000 Plätze zur Verfügung, die mit 87% ausgelastet waren. Selbst wenn alle Heime mit 100% ausgelastet wären, würden demnach bis 2030 rund 32000 Pflegeplätze fehlen. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn bis 2019 sollen nach dem Willen des Landes alle Doppelzimmer in den Pflegeheimen in Baden-Württemberg abgeschafft werden.

Bereinigt man den Bestand an Pflegeplätzen um die noch existierenden 38% Doppelzimmer, dann ergibt sich ein Minus von rund 51.000 Pflegeplätzen bis 2030.

In 16 Jahren – bis 2030 – müssten rechnerisch also ca. 1.000 Einrichtungen mit 50 Plätzen gebaut werden. Das sind jährlich 3.000 Plätze oder rund 60 Pflegeheime.

In NUR 16 Jahren – wie viel Zeit der Untätigkeit folgt denn noch? Diese Zahlen sind ja nun wahrlich nicht erst gestern bekannt geworden! 2030 ist übermorgen!

Für den Bau eines Pflegeheimplatzes muss mit einer Investitionssumme von 110.000 Euro gerechnet werden, das bedeutet ein notwendiges Investitionsvolumen von rund 330 Millionen Euro jährlich oder 5,5 Milliarden Euro bis 2030.

Die Verantwortung für dieses gewaltige Infrastrukturprojekt darf nicht allein auf die betroffenen Pflegeunternehmen abgewälzt werden. Das Land hat sich bereits 2009 fast vollständig aus der Pflegeheimförderung verabschiedet, macht die Augen zu und überlässt das Investitionskostenrisiko nahezu ausnahmslos den Pflegeunternehmen, beklagt sich aber gleichzeitig über hohe Kosten in Pflegeheimen die von den Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern oder deren Angehörigen zu tragen sind.

Seit Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung im Jahr 1995 hat sich der Eigenanteil im Pflegeheim auf über 2.000 Euro fast verdoppelt.

Mit diesen Beträgen sind Pflegebedürftige und Angehörige überfordert. Es ist dringend geboten, die Eigenanteile deutlich zu senken, indem die Leistungsbeträge der Pflegeversicherung angemessen dynamisiert und schrittweise bis 2020 verdoppelt werden:

  • Pflegestufe 1: von 1.023 Euro auf bis zu 2.000 Euro
  • Pflegestufe 2: von 1.279 Euro auf bis zu 2.500 Euro
  • Pflegestufe 3: von 1.550 Euro auf bis zu 3.000 Euro

Die im Koalitionsvertrag vereinbarten 0,5% ige Erhöhungen der Beiträge zur Pflegeversicherung sind nicht ausreichend. Mit einem Prozent jedoch wäre diese unsere Forderung jedoch finanzierbar und der stetige Anstieg der Sozialhilfekosten wäre spürbar gebremst.

Und ich habe noch mit keinem gesprochen der nicht zu überzeugen gewesen wäre, zusätzlich auf 1 % seines Bruttogehalts zugunsten der gesetzlichen Pflegeversicherung zu verzichten – den meisten von uns ist mittlerweile klar:  WIR sind die Pflegebedürftigen von Morgen!!!

Die Zahl der Pflegeheimbewohner in Baden-Württemberg, die auf Sozialhilfeleistungen angewiesen sind, ist nach Angaben des Kommunalverbands für Jugend und Soziales (KVJS) um 32 Prozent gestiegen – von 21 000 Leistungsempfängern im Jahr 2001 auf 27 457 im Jahr 2011.

Im Übrigen war seinerzeit bei der Einführung der Pflegeversicherung das Thema Sozialhilfe ein wesentliches Argument für die Pflegeversicherung: „keiner soll auf Sozialhilfe angewiesen sein“ wurde propagiert – Das sei unwürdig für Menschen die ein Leben lang gearbeitet hätten.

Die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung in den Stufen I und II sind seit deren Einführung nicht um einen Cent gestiegen!! Lediglich umgerechnet: von DM auf Euro. Und der Anstieg der Sozialhilfebedürftigkeit wird beklagt!

Jetzt sollen die Leistungen der Pflegeversicherung nach fast zwanzig Jahre erstmals um doch schon 4 % steigen. Das ist wahrlich eine grandiose Entlastung in der Pflegestufe I beispielsweise, von 1023.- auf 1064.- € /Monat. 41 € im Monat, hier kann man schwerlich vom „großen Wurf“ und großer Entlastung reden!

Die Sicherung der erforderlichen Anzahl an Fachkräften ist eine der entscheidenden Aufgaben, der sich Politik und Pflegeunternehmen in den nächsten Jahren stellen müssen. Das Statistische Landesamt hat prognostiziert, dass in Baden-Württemberg bis 2030 etwa 57.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt werden, bis 2050 sollen es sogar 122.000 sein.

Es ist deshalb unabdingbar, alle denkbaren Maßnahmen zu ergreifen, um jetzt die Voraussetzungen für eine ausreichende Anzahl gut qualifizierter Pflegekräfte in der Pflege zu schaffen!

Die Wiedereinführung der 3 jährigen Ausbildungsförderung von lebenserfahrenen Menschen zu Pflegefachkräften ist beispielsweise ein über fast zwei Jahrzehnte – auch von mir – langer und verzweifelt geforderter Schritt in die richtige Richtung!

Was wir sicher nicht brauchen ist – lassen Sie mich das durchaus selbstkritisch voranstellen – ist eine sich verfestigende Jammerkultur über die beklagenswerte Situation in der Pflege! Ich meine, mehr klare Kante zu zeigen und auf Untragbarkeiten hinzuweisen – wie heute – das ist der richtige Weg!

Wir brauchen:

• mehr Personal in den Pflegeheimen durch eine deutliche Anhebung der Personalschlüssel

• mehr Personal für die ambulante Pflege durch deutliche Anhebung der Zeitbudgets für einzelne Leistungen und Module. Es ist nahezu pervers, dass Handlungen wie beispielsweise das Waschen am Waschbecken im stationären Bereich in Minuten gemessen werden ohne auf die Individualität von Menschen einzugehen! Das Gleiche gilt natürlich auch für den Toilettengang. …… Erkennen wir denn hierin, bei dieser vorgegebenen Stoppuhrpflege irgendetwas von Würde??

• mehr qualifiziertes Personal und mehr Personal allgemein für die Pflegeheime

• Mehr gesellschaftliche Anerkennung und eine deutlich bessere Bezahlung der Pflegekräfte, um mit anderen Berufen besser konkurrieren zu können.

Ich habe vorhin die vom statistischen Landesamt prognostizierten Zahlen in Hinblick auf das benötigte Pflegepersonal in der Altenpflege genannt. Ja, um Gottes Willen, wie wollen wir denn junge Menschen für diesen wunderbaren Beruf begeistern wenn von einem Fachkraftgehalt kaum eine Familie ernährt werden kann??

Wir bewegen uns in einer massiven Konkurrenzsituation zu anderen Berufen!!! Es wird Zeit aufzuwachen!

Wir brauchen:

• mehr Förderung von Qualifizierungsangeboten und der Gesundheit in den Pflegeberufen.

• Attraktive Ausbildungsmodelle und modulare Qualifizierungswege schaffen, um allen an der Pflege interessierten Menschen in Deutschland einen Zugang zu einem Pflegeberuf zu ermöglichen.

Stattdessen erklären die Minister Gröhe und Schwesig, dass uns in Zukunft nur noch eine einheitliche Pflegeausbildung bevorsteht. Frau Schwesig äußert: „einmal Altenpfleger – immer Altenpfleger“ Danke für diese abfällige Äußerung, herzlichen Dank!

Sie hätte sicher niemals: „einmal Krankenschwester – immer Krankenschwester“ von sich gegeben. Wertschätzung für einen Beruf der keine regelmäßigen Arbeitszeiten kennt, der manchmal bis über die Belastungsgrenze Einzelner hinaus geht und der in der Regel von liebevoller Fürsorge und Begleitung alter und auch sterbender Menschen geprägt ist und eben kein 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr Job ist sondern regelmäßigen Wochenenddienst, Dienst an Feiertagen und Nachtdienst abfordern muss, hört sich für mich aber ganz anders an!

Eine Bundeskanzlerin wollte im Jahr 2010 – auch nicht so lange her – Hartz IV Empfänger in die Pflegeheime schicken, weil pflegen kann ja wohl jeder, und nun haben wir ein Ministergespann das augenscheinlich keine Ahnung vom Unterschied einer notwendigen Akutversorgung im Krankenhaus und einer sozialpflegerischen Versorgung und Begleitung von Menschen in ihrer Wohnung oder im Pflegeheim hat und damit die Existenz des Altenpflegeberufs in Frage stellt!

Sie gestatten mir abschließend eine persönliche Anmerkung:

Genau das, meine Damen und Herren, diese Haltung ist es, die mir Angst macht und was mich – auch bei dieser Regierung – äußerst skeptisch macht: Mein Vertrauen zu solchen, nicht von großer Sachkenntnis geprägten Volksvertretern mit Ministeramt, hält sich in engen und höchst überschaubaren Grenzen, ich hoffe Sie verstehen das.

Ich betone ausdrücklich, dass sich mein Misstrauen in Hinblick auf eine zukunftsfähige Gestaltung der Altenpflegepolitik auf alle politischen Parteien bezieht.

Unsere Gesellschaft ist der Generation, auf die sich unser Wohlstand gründet und die nach einem katastrophalen Weltkrieg unsere Gesellschaft erst aufgebaut, ermöglicht und erarbeitet hat, eine gute und sichere Pflege schuldig!

Es wird höchste Zeit, dass sie das begreift und das die Politik in Bund und Land endlich zielführend und zukunftsorientiert handelt!

Die Erkenntisproblematik wird trotz des Vorgenannten geringer, die Umsetzungsproblematik ist jedoch seit Jahrzehnten vorhanden!

Meine Damen und Herren, in der Pflege ist es 5 vor 12, nicht nur auf Ihrer Uhr! Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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