Diskussion in der Kath. Seelsorgeeinheit: Was brauchen wir für eine Kirche?
(mar – 17.4.19) Unter dem Motto „Kirche – ein Haus Gottes!?“ hat das Bildungswerk der Seelsorgeeinheit Leimen-Nußloch-Sandhausen einen weiten Bogen gespannt: Die Vortragsreihe begann im Oktober 2018 in Leimen mit Berno Müller vom Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis, der über die „Häuser Gottes“ in der Seelsorgeeinheit sprach und gleichzeitig das Buch „Sakrale Kunst im Rhein-Neckar-Kreis“ vorstellte.
Im November 2018 folgte Sabine Müller, Theologin und Kirchenmusikerin, die den Zuhörern in Nußloch Kirche als sakralen Raum näherbrachte. Im Februar 2019 zeigte Dr. Andreas Müller aus Bonn in Gauangelloch die Entwicklung von der Hauskirche zur Betonkirche auf, und im März 2019 referierte Dr. Maria Luzia Weigel, Kunsthistorikerin, in St. Ilgen über Kirche als Glaubenszeugnis aus Stein.
Zum Abschluß und zur Abrundung der Vortragsreihe fand am 11. April 2019 in Sandhausen eine gut besuchte Podiumsdiskussion statt, in der der Frage nachgegangen wurde, was für eine Kirche wir heute und in Zukunft brauchen. Pfarrer Arul Lourdu, der die Diskussion moderierte, durfte hierfür Dr. Gunter Barwig, Referatsleiter Bauwesen der Kirchengemeinden und Denkmalpflege beim Erzbischöflichen Ordinariat in Freiburg, Dr. Almut Rumstadt vom Bildungszentrum Heidelberg und Vikar Sebastian Feuerstein, Religionslehrer und Beauftragter für die Berufungspastoral im nordbadischen Raum, begrüßen.
Schon mit ihren einführenden Worten verdeutlichten die Diskussionsteilnehmer, wie vielfältig die Fragestellungen sind, mit denen man sich in diesem Kontext auseinandersetzen muss: Dr. Barwig verwies auf die prognostizierten Rückgänge der Kirchensteuer-Einnahmen und die Notwendigkeit, hierauf frühzeitig zu reagieren und den Bestand an Kirchenimmobilien kritisch zu durchleuchten. In diesem Zusammenhang sei immer zu hinterfragen, was pastoral erforderlich sei und was man sich zukünftig noch leisten könne. Geld solle schließlich nicht nur in Gebäude, sondern vorwiegend in pastorale Aktivitäten fließen. Trotzdem sollten natürlich auch weiterhin Räumlichkeiten und Kirchen für die Gemeindemitglieder attraktiv bleiben. Beispiele in Meckesheim und Wieblingen hätten gezeigt, dass dies realisierbar sei. In anderen Gemeinden, beispielsweise in Wiesloch-Baiertal, würden auch zunehmend ökumenische Baulösungen umgesetzt.
Dr. Rumstadt reflektierte zunächst einmal die verschiedenen Facetten des Begriffs „Kirche“ und warf die Frage auf, wie sich die Redewendung „die Kirche im Dorf zu lassen“ mit der geplanten Strukturreform „Pastoral 2030“ (Reduzierung der 224 Seelsorgeeinheiten auf 40 Großpfarreien) vertrage. Kirche sei für sie ein Versammlungsort, zu dem viele Gemeindemitglieder eine enge Beziehung aufgebaut hätten. Andererseits würde dieser Versammlungsort von vielen Gläubigen gar nicht mehr aufgesucht, und große Kirchen, in denen sich nur wenige Gottesdienstteilnehmer verlieren würden, trügen nicht gerade zum Charakter einer Feier bei. Die katholische Kirche als Organisation werde derzeit vorwiegend mit negativen Assoziationen (Mißbrauchsskandal, Amtsmißbrauch, Zwang zum Zölibat, kaum Partizipation von Frauen in Ämtern) verknüpft, daher sei es umso wichtiger, Kirche wieder als sinnstiftende Gemeinschaft zu leben und von der „Zählsorge wieder zur Seelsorge“ zu kommen. Um Menschen zu erreichen, müssten Themen wie Glaubensverkündigung oder Geschwisterlichkeit wieder ins Zentrum rücken. Der gegenseitige Umgang solle von Gastfreundschaft, Wertschätzung, Gleichberechtigung und vor allen Dingen von Freude geprägt sein, schließlich gelte nach wie vor das Versprechen Jesu: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“
Vikar Feuerstein, der sich im Rahmen der Berufungspastoral der Gewinnung hauptamtlicher Mitarbeiter widmet, führte aus, dass seine Rolle weiter gefasst sei: Es gehe um die Berufung von Menschen, insbesondere von jungen Menschen, die oft keinerlei Beziehung zu Gott mehr hätten. Für ihn stehe fest, wenn Jugend Zukunft sein solle, müsse sie auch Gegenwart sein. Kernfrage sei, welche Antworten wir jungen Menschen noch geben können in einer Zeit, in der auch die Prägung durch das Elternhaus oder durch kirchliche Gruppierungen wie Ministranten oder Pfadfinder immer mehr abnehme. Hier helfe seiner Erfahrung nach nur Zeit mit den Jugendlichen zu verbringen und ein offenes Ohr für ihre Probleme, Wünsche und Sehnsüchte zu haben. Im Religionsunterricht sei es ihm daher oft lieber, wenn Jugendliche gute Fragen stellten statt naheliegende Antworten zu geben. Was Nähe zum Menschen angehe, habe ihn Peter Maile, Seelsorger auf der Großbaustelle „Stuttgart 21“ besonders beeindruckt: Er sei für viele der rund 2000 Beschäftigten nicht nur Gottesmann, sondern auch Kumpel.
Nach einer kurzen Erfrischungspause entwickelte sich in der Folge eine lebhafte Diskussion mit vielen Fragen und Beiträgen aus dem Publikum, in der sowohl kritische als auch konstruktive Untertöne wahrzunehmen waren. So ging es um die starke Belastung von Haupt- und Ehrenamtlichen in Seelsorgeeinheiten, die gerade mehrere Sanierungsprojekte gleichzeitig stemmen müssten und kaum mehr Kraft für andere Aufgaben hätten. Auch die Rolle der Stiftung Pfälzer Katholische Kirchenschaffnei in Heidelberg und ihr Beitrag zum Gebäudeerhalt im nordbadischen Raum wurde ausführlich diskutiert. Weitere Fragen beschäftigten sich mit der Anziehungskraft freikirchlicher Einrichtungen auf junge Familien und mit dem Einflußfaktor Religionsunterricht. Auch an der Strukturreform „Pastoral 2030“, die in vielen Gemeinden Ängste und Besorgnis hervorgerufen hat, kam man natürlich nicht vorbei. Tenor war hier, dass die „Pastoral 2030“ sehr stark auf das Ehrenamt setze und dass nur das vertrauensvolle Zusammenwirken von Priestern und Laien Gemeindeleben vor Ort sicherstellen könne. Um verschiedenste Personenkreise erreichen zu können, seien vielfältige liturgische Angebote essentiell. In diesem Kontext wurde auch um die Bedeutung von Wortgottesdienst und Eucharistiefeier gerungen, wobei Vikar Feuerstein die Worterfahrung als wichtigen Zugang zur Eucharistie deutete. Dr. Barwig ergänzte abschließend noch, dass angesichts der „Pastoral 2030“ und der nun wieder völlig veränderten Ausgangslage sogar eine Fachgruppe für Gebäudekonzeptionen eingerichtet worden sei.
Gegen Ende der Veranstaltung kam aus den Reihen der Zuhörer noch der flammende Appell, sich von der aktuellen Endzeitstimmung nicht anstecken zu lassen und Mut zum Aufbruch zu beweisen. Es gebe trotz widriger Rahmenbedingungen viele positive Beispiele für aktive Kirchengemeinden, nicht nur hierzulande, sondern beispielsweise auch in Frankreich, wo die Ausgangslage mit 70 bis 80 Gemeinden pro Pfarrer noch viel dramatischer sei.
Selbstverständlich konnten in zweieinhalb Stunden Diskussionszeit nicht sämtliche Probleme der katholischen Kirche ausgeräumt werden, doch der lebhafte und offene Diskurs lieferte viele interessante Denkanstöße für Gegenwart und Zukunft. Pfarrer Lourdu bedankte sich am Ende sowohl bei den geladenen Referenten als auch beim Publikum für die intensive Diskussion, die einen würdigen Abschluß für die Vortragsreihe „Kirche – ein Haus Gottes!?“ darstellte.
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