Ein Revolutionär aus Maisbach: Philipp Erhard Stay und die Revolution von 1848/49
Von Oliver Mohr. Das Großherzogtum Baden war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt von einer außerordentlichen politischen Dynamik, die sich in der Revolution von 1848/49 entlud. Nicht zuletzt Heidelberg und seine Umgebung waren ein Zentrum des Revolutionsgeschehens.
Zum Beispiel war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu der später in der Paulskirche in Frankfurt beratenden Nationalversammlung die Heidelberger Versammlung. Ihr Tagungsort am 5. März 1848 war das Hotel Badischer Hof (Hauptstraße 113) und einer ihrer Teilnehmer Friedrich Hecker, Mitglied der Zweiten badischen Kammer, der vor allem als Anführer eines revolutionären Aufstandes bekannt wurde. Während die Heidelberger Versammlung in die Geschichtsbücher Eingang fand und mit dem legendären, in Liedern und Gedichten gefeierten Hecker viele noch immer etwas verbinden können, weiß kaum jemand mehr, dass ein in Maisbach als Lehrer wirkender Mann sich als bedeutender revolutionärer Publizist hervortat.
Philipp Erhard Stay trat im Juni 1845 seinen Dienst als Schullehrer in Maisbach an. Er war Gründer des ‚Badischen Lehrervereins‘ und einer der Tagungsleiter des im Oktober 1848 in Frankfurt am Main tagenden ‚Kongresses deutscher Volksschullehrer‘. In eine breitere Öffentlichkeit trat er als Redakteur und Hauptautor der von ihm gegründeten Tageszeitung ‚Der Volksführer‘ bekannt, der zwischen Dezember 1848 und Juni 1849 in Heidelberg erschien, ein nach den Maßstäben der Zeit radikales Blatt, das eine Auflage zwischen 1.400 und 1.700 Exemplaren erreichte, was nicht unbeträchtlich war, verglichen etwa mit dem eher regierungsfreundlichen ‚Heidelberger Journal‘, das auf eine Auflage von 1.200 Exemplaren kam.
In der Heidelberger Versammlung hatten sich bereits die gemäßigt-liberalen Kräfte durchgesetzt, die auch die Nationalversammlung prägten, die sich am 18. Mai 1848 konstituiert hatte. Als der ‚Volksführer‘ im Dezember 1848 erstmals erschien, hatten sich in den Vormonaten in der Paulskirche turbulente Debatten abgespielt, die aus der Sicht der radikalen Kräfte fruchtlos verlaufen waren.
Baden war einer der Brennpunkte der Revolution. Schon in ihrer Anfangsphase im April 1848 kam es zu dem erwähnten Aufstand von Hecker, der nach wenigen Tagen zusammenbrach. Danach klang die Mobilisierung der Bevölkerung zunächst ab. Gegen Ende des Jahres 1848 erhielt der Revolutionsverlauf eine neue Dynamik und in eben dieser Phase erneuter Radikalisierung trat der ‚Volksführer‘ auf den Plan.
In der ersten Ausgabe des ‚Volksführers‘ vom 13. Dezember 1848 kritisierte Philipp Erhard Stay den bisherigen Revolutionsverlauf in Deutschland, der anders als in Frankreich, wo schon im Februar der König „verjagt“ worden war, nicht zu Abschaffung der Monarchien geführt hatte: „Die Fürsten haben sich von ihrem Schrecken erholt und die Minister haushalten nach wie vor.“ Die Deutschen hätten sich durch falsche Versprechungen von der Obrigkeit einlullen lassen: „[…] man gab dem Volke Versprechungen, und das Volk war zufrieden“.
In seiner Absicht, die Bevölkerung zu mobilisieren, bediente sich Stay einer bildhaften Opfer-Rhetorik: „[…] wir wollen keine Thoren mehr sein, die den Fuß küssen, der sich auf unsern Nacken setzt“. Er rief zum Kampf um „Wohlstand, Bildung und Freiheit für Alle“ auf, der ohne Rücksicht auf den eigenen Nachteil geführt werden sollte: „[…] und wir werden stolz darauf sein, für das Volk leiden zu müssen, denn es ist besser, dass ein Mensch sterbe, als daß das ganze Volk verderbe“.
Die Agitation Stays steht im Kontext einer republikanischen und demokratischen Mobilisierungswelle, die unter anderem in der Bildung von ‚Volksvereinen‘ zum Ausdruck kam, und die in Baden im Frühjahr 1849 ihren Höhepunkt erreichte. Als sich die politische Situation in Baden weiter zuspitzte, rief der ‚Volksführer‘ am 30. April mit den Worten „Greift zu den Waffen!“ auf seiner Titelseite zum Aufstand auf, Stay nutzte zudem zahlreiche Auftritte bei Volksversammlungen zur politischen Agitation.
Im Mai 1849 kam es in Baden zu einer Revolution, die jedoch rasch niedergeschlagen wurde und somit Episode blieb. Wie andere Revolutionäre musste Stay, der auch Mitglied des revolutionären, regierenden Landesausschusses war, ins Schweizer Exil gehen, aus dem er nach einer Amnestie erst 1862 zurückkehren konnte. Er starb 1880 in Magdeburg.
Oliver Mohr studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg und an der Freien Universität Berlin. Derzeit promoviert er zu einem rechtshistorischen Thema.
Ihre lokale Internetzeitung für Leimen, Nußloch, Sandhausen
Kurz-URL: https://leimenblog.de/?p=90066