GALL Haushaltsrede 2015 – Ralf Frühwirt

Meine letzte Haushaltsrede hatte die Nachhaltigkeit als Grundthema. Ich habe darin ausgeführt, dass die mangelnde Nachhaltigkeit der Entscheidungen aus der Vergangenheit die heutige schwierige finanzielle Situation mit verursacht haben und dass es deshalb umso notwendiger aber auch schwieriger ist, heute nachhaltige Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.

Ich hatte schon öfters die Idee eine frühere Haushaltsrede zu recyceln, um zu sehen, ob jemand aufgepasst hat, aber noch nie wäre es inhaltlich so passend gewesen. Ein paar veränderte Zahlen und schwupps hätte die Rede mit dem gleichen Anspruch auf Aktualität auch dieses Jahr wieder gepasst.

Aber ich möchte in diesem Jahr den Focus auf eine andere Thematik legen, die mindestens ebenso aktuell und ebenso wichtig ist, wie die der Nachhaltigkeit. Das ist die Frage von Armut und Reichtum und der sich immer weiter öffnenden Schere zwischen beiden. Man muss heute zur Kenntnis nehmen, dass die Frage, in welcher Kategorie jemand landet nicht oder wenigstens nicht nur eine Frage von eigenen guten oder schlechten Entscheidungen ist, sondern dass es strukturelle Bedingungen gibt, die die Trennung in Arm und Reich verstärken und verfestigen.

Ralf Frühwirt, Fraktionsvorsitzender GALL

Ralf Frühwirt, Fraktionsvorsitzender GALL

Das Interessante daran ist, dass man dies auf allen gesellschaftlichen Ebenen sehen kann. Angefangen beim Individuum, wo der Trend weltweit schon seit vielen Jahren in die gleiche Richtung weist. Diejenigen, die ein hohes Einkommen und viel Besitz haben, werden künftig ein noch höheres Einkommen und noch mehr Besitz haben, während diejenigen, die wenig haben auch künftig auf keinen grünen Zweig kommen werden. Problematisch ist dabei nicht nur der Fakt an sich, sondern auch zwei weitere Trends, die immer deutlicher werden. Zum Einen, dass diejenigen, die in diesem System zu den Verlierern zählen immer mehr werden, weil sich ein immer größerer Teil der Mittelschicht im bedrohten Lager der Gesellschaft wieder findet, zum zweiten, weil die Durchlässigkeit unserer Gesellschaft immer weiter abnimmt. Beide Entwicklungen sind Sprengsätze für eine Gesellschaft.

Die gleiche sprengende Wirkung eines solchen auseinander driftens von Arm und Reich kann man auch auf staatlicher Ebene beobachten. Nicht nur seit vielen Jahrzehnten an den unterschiedlichen Entwicklungen zwischen reichen Industriestaaten und Entwicklungsländern, sondern sehr aktuell auch an den Verwerfungen innerhalb der EU. Man macht es sich als Bürger eines reichen Landes zu einfach, wenn man lediglich auf die eigene gute Performance verweist und den anderen das eigene gute Beispiel ans Herz legt. Damit verkennt man, dass es nicht nur bessere oder schlechtere politische Entscheidungen sind, die entscheiden wohin die Reise geht, sondern dass die Struktur mindestens eine genauso große Rolle spielt, eine Struktur, die die einen begünstigt und die anderen benachteiligt.

Womit wir nun bei der kommunalen Ebene und der Situation Leimens wären. Fraglos gibt es aus der Vergangenheit eine ganze Reihe von Fehlentscheidungen, die zur maroden finanziellen Lage beigetragen haben, ich verweise zur Illustration auf meine letzten 30 Haushaltsreden. Aber auch wir haben auf kommunaler Ebene mit strukturellen Problemen zu tun, die es uns zusätzlich schwer machen, aus dem Loch wieder heraus zu kommen. Dazu nur ein Beispiel. Gestern habe ich mich mit einem Gemeinderat aus St. Leon-Rot unterhalten. Dabei ging es um den Rechnungsabschluss des Jahres 2013. Mit 7 Millionen Überschuss hatte man den Haushalt geplant, also 7 Millionen, die man am Ende des Jahres übrig haben wollte und der Rücklage hinzufügen wollte. Da bekommen einige hier im Rund schon große Augen. In St. Leon kam es aber anders. Aufgrund von Veränderungen, die nichts mit der lokalen Politik und guten oder schlechten Entscheidungen in 2013 zu tun haben, war der Überschuss 27 Millionen. Lebten wir in Dagobert Ducks Entenhausen, so müsste man sich dort wohl einen zweiten Goldspeicher bauen.

Wir wissen alle, womit das zu tun hat und dass gute oder schlechte Politik nur eine sehr kleine Rolle spielt. Um das mal in ein Verhältnis zu setzen: Die finanziell größte Fehlentscheidung der Stadt Leimen war die für das PPP-Projekt Schwimmbad, das uns noch viele Jahre wie ein Klotz am Bein hängen wird. Aber mit Einnahmen wie in St. Leon könnten wir uns jedes Jahr ein solches Bad bauen, ohne auch nur zur Bank gehen zu müssen.

Und diese Ungleichverteilung von Einnahmen hat noch weitere Folgen, denn eine vernünftige wohlhabende Kommune baut nicht jedes Jahr ein neues Bad, aber sie wird ihre Infrastruktur auf dem neusten Stand halten und zum Beispiel in Gemeinschafts- und Ganztagesschulen investieren, oder das schnelle Internet zügig ausbauen, womit man für potentielle Neubürger und Gewerbeansiedlungen noch attraktiver wird. Besonders da man es sich leisten kann Grund- und Gewerbesteuer niedrig zu halten. Und das alles hat dann natürlich Auswirkungen auf Kommunen, denen es nicht so gut geht. Diese stehen in dem Dilemma, dass sie auf der einen Seite sparen müssen, was bedeutet, dass sie die Investitionen in die Zukunft nur in geringem Umfang leisten können, womit sie noch unattraktiver werden. Auf der anderen Seite wagt es niemand die Einnahmeseite anzugehen, aus Angst noch mehr Menschen und Firmen abzuschrecken.

Auch auf kommunaler Ebene verstärkt die Struktur also Ungleichheiten, statt sie abzuschwächen. Sicher gibt es Umlagen und Zuweisungen, die genau letzteres bewirken sollen, aber das System wurde in anderen Zeiten gestaltet, und ist für die heutigen Bedingungen offensichtlich nicht mehr angemessen. Denn man sollte nicht vergessen, dass wir in guten Zeiten leben. Die Steuereinnahmen sprudeln wie nie zuvor, dem Gewerbe geht es gut, die Beschäftigung ist hoch und die Zinsen sind niedrig. Trotzdem gelingt es nicht, den HH positiv zu gestalten. Über 5 Mio. € müssen an Krediten aufgenommen werden um den massiven Fehlbetrag auszugleichen.

Natürlich gibt es einige Effekte, die diesmal zusammen kommen, und uns in ihrer Addition besonders hart treffen. Das gute Jahr 2013 schlägt aufgrund der Struktur von Umlagen und Zuweisungen dieses Jahr mit einem Minus von einer Mio. zu Buche, der Zensus, der uns angeblich 2000 Einwohner gekostet hat, kostet uns für dieses Jahr auch 1,5 Mio. und falls es zu keiner Klärung kommt auch künftig. Ohne diese Effekte müssten wir uns wohl nicht über eine umgekehrte Zuführung unterhalten, die beim ersten Aufschlag bei über 1,3 Mio. lag, und die wir in mühevoller Kleinarbeit auf 600 000.- gedrückt haben.

Aber selbst mit ein paar 100 000.- Euro im Plus bei der Zuführung hätte sich eine freie Spitze wohl kaum erzielen lassen, bei Zinsausgaben von über 1,3 Mio. p.a. Geschweige denn, dass man einen größeren Teil unserer Investitionen von über 12 Mio. aus den Überschüssen des Verwaltungshaushaltes hätte finanzieren können. So müssen wie in der Vergangenheit Ersatzdeckungsmittel her halten. Die Rücklage, die Dank dem guten Jahr 2013 wieder ein wenig gefüllt war, wird umgehend wieder geleert. Zurückhaltender ist man diesmal bei den Einnahmen aus Grundstücksverkäufen vorgegangen. Rechnet man die 2 Mio. für denn seit Jahren im Haushalt kreiselnden Kreisel heraus, so hofft man dieses mal nur auf Einnahmen von 1,15 Mio. aus dem Verkauf von bebauten und unbebauten Grundstücken. Bleibt die Frage, ob die Verwaltung in ihren Ansätzen realistischer geworden ist, oder ob sich hier schon langsam das Ende dieser lange Zeit sehr lukrativen Einnahmequelle abzeichnet.

Trotz guter Konjunktur also ein Haushalt, der einen um die Zukunft der Stadt bange werden lassen kann. Besonders wenn man die Phantasie besitzt, sich vorzustellen, wie es aussieht, wenn es wirtschaftlich nicht mehr so gut läuft, wenn Bund und Land aufgrund der Schuldenbremse ernsthaft sparen, wenn gleichzeitig die Schlüsselzuweisungen und der Anteil an der Einkommenssteuer – zusammen knapp 50% unserer Einnahmen – zurückgehen, der Landkreis, der jetzt von den Kommunen knapp gehalten wird, die Kreisumlage anhebt und wir wieder mit höheren Soziallasten umgehen müssen.

Man fragt sich, wie unter solchen, nur etwas schlechteren Bedingungen noch ein genehmigungsfähiger Haushalt aufgestellt werden soll. Man fragt es sich auch und besonders, wenn man die vielen Sitzungen von Haushaltsstrukturkommission und Haushaltsvorberatung mitgemacht hat, bei denen es oft genug um ein paar tausend Euro ging, die mit der einen oder anderen Maßnahme eingespart oder eingenommen werden sollen. Es ist viel Hirnschmalz in die Vorschläge geflossen und auch wenn nicht alles umsetzbar ist, so wird sich doch vieles langfristig noch auszahlen. Aber schaut man sich den finanziellen Effekt im Vergleich zu unseren Problemen an, so macht sich doch Ernüchterung breit. Ein paar hunderttausend Euro, selbst wenn sie dauerhaft sind, werden unseren Haushalt nicht sanieren.

Und wir müssen uns fragen, wieviel Luft sich noch im Haushalt findet, und wie weit wir sie tatsächlich heraus lassen wollen. Selbstverständlich gibt es noch millionenschwere freiwillige Leistungen, Stadtbücherei, Musikschule, Volkshochschule, Vereinszuschüsse, ÖPNV, Schwimmbad, usw., und selbstverständlich findet jeder hier eines, auf das er gerne komplett verzichten kann, andere, die er gerne schrumpfen würde und andere, an die auf keinen Fall die Hand gelegt werden darf. Aber wir müssen uns doch auch ernsthaft fragen, ob diese Leistungen denn tatsächlich so freiwillig sind, in dem Sinne, dass es natürlich deutliche negative Effekte für die Attraktivität unserer Stadt hätte, wenn wir darauf verzichten würden. Natürlich ist nichts davon lebenswichtig für eine Kommune – sieht man vom ÖPNV mal ab – aber wie auch beim ganz normalen Menschen ist Armut auch für eine Kommune immer relativ. Und wenn wir unsere freiwilligen Leistungen radikal zusammen streichen, unsere weichen Standortfaktoren gegen Null steuern, werden wir als Partner für künftige Bürger oder Firmen in einer prosperierenden Metropolregion kaum die erste Wahl sein.

Von daher ist es fraglich, ob weitere Einschnitte langfristig nicht eher negative Folgen haben, statt uns zu sanieren. Die Alternative, die Erhöhung der Einnahmeseite wurde nicht wirklich diskutiert, auch aus dem Grund, den ich vorhin im Zusammenhang mit St. Leon genannt habe. Tatsächlich hat nur ein Beamter der Verwaltung eine drastische Erhöhung der Hebesätze in die Debatte geworfen, danach war Ruhe an dieser Front. Es ist spannend zu sehen, inwiefern dies in der Zukunft wieder eine Rolle in der Diskussion spielen wird.

In meiner letzten Rede habe ich mir mehr Mut und Initiative gewünscht, um die finanziellen Probleme in den Griff zu bekommen und habe meiner Hoffnung Ausdruck gegeben, dass es der nächste Gemeinderat richten würde. Das ist bisher nicht geschehen aber vielleicht wäre es auch zu viel verlangt, so kurz nach Aufnahme der Amtsgeschäfte von diesem neuen Gremium schon den großen Wurf zu erwarten. Das bedeutet aber, dass auch dieser Haushalt nicht viel zur Lösung unserer Probleme beiträgt und die finanzielle Agonie eher fortschreibt.

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