Verschwundenes Sandhäuser Kriegerdenkmal – Wer kann Hinweise geben?

(rwm – 17.1.21) Regelmäßig berichtet der Historiker Rolf W. Maier in den Sandhäuser Gemeindenachrichten über historische Begebenheiten und Personen – zuletzt über das Leben des Sandhäuser Ehrenbürgers Andreas Brettle.

Heute und nächste Woche widmet sich Rolf Maier einem bislang ungelösten Sandhäuser Rätsel: dem Verschwinden des sogenannten Kriegerdenkmals von 70/71, das einst vor der Katholischen Kirche St. Bartholomäus an der Gabelung Schulstraße und Waldstraße stand.

Dabei widmet er sich insbesondere dem Deutsch-Französischen Krieg, der zur Gründung des Deutschen Kaiserreichs führte. Und er bittet die Sandhäuserinnen und Sandhäuser um Mithilfe:


Wer kann Hinweise zum Verbleib und zur Geschichte des Denkmals geben?


Blick von der Hauptstraße in Richtung Katholische Kirche – das Kriegerdenkmal wird von zwei Bäumen eingerahmt. Foto: Archiv Gemeinde Sandhausen

„Wann dieses Denkmal aus dem Ortsbild ‚verschwand‘ ist unklar. Diebstahl kann es wohl nicht gewesen sein. Ich vermute die ‚Entfernung‘ des Denkmals im Zusammenhang mit Straßenbaumaßnahmen“, so Maier.

Die Gemeinde Sandhausen hatte schon lange keine toten Soldaten mehr zu betrauern, da das Großherzogtum Baden nach 1815 eigentlich an keinen Kriegen teilnahm – abgesehen von den kurzen Revolutionskriegen der Jahre 1848/49, in denen letztendlich Baden temporär unter preußische Besatzung geriet. Auch im kurzen preußisch-österreichischen Bruderkrieg 1866, an dem sich die protestantische Dynastie ungern an der Seite des katholischen Kaiserreichs Österreich-Ungarn beteiligte, fielen wenige Badener Soldaten, darunter keine Sandhäuser. Erst im Krieg 1870/71 verzeichnet die Chronik der Gemeinde seit den Napoleonischen Kriegen bis 1813/14 wieder Gefallene.

Die Badische Armee im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71

Nahaufnahme des Kriegerdenkmals. Foto aus: Kalender „anno dazumal“ Burg-Apotheke 2018. Freundliche Bildleihgabe Dieter Gaab

Der Anlass des Krieges zwischen dem Kaiserreich Frankreich und den deutschen Staaten Preußen/Norddeutscher Bund sowie den süddeutschen Staaten war im Grunde genommen banal: Frankreich wollte einen preußischen (katholischen) Erbprinzen aus dem Hause Hohenzollern nicht als König von Spanien akzeptieren. Es befürchtete eine Zangenpolitik gegenüber seiner Nation. Das Verlangen Frankreichs, Preußen möge auf immer diese Kandidatur in Spanien zurückziehen, konterkarierte der preußische Ministerpräsident mit einer provokanten Antwort. Frankreich ließ sich zu einem Angriffskrieg gegen Preußen verleiten.

Nun stand Frankreich als Angreifer dar, was unmittelbar (und zur Überraschung der französischen Seite) zum Beistandspakt der süddeutschen Dynastien Baden, Hessen, Bayern und Württemberg führte. Der Bündnisfall und das rasche militärische Vorgehen der vereinten Armeen schufen im Ergebnis sowohl die Grundlage für den militärischen Sieg als auch für die Gründung des Deutschen Kaiserreichs am 18.1.1871, obwohl es noch keinen Friedensvertrag mit dem besiegten Frankreich gab. Dieses erklärte sich alsbald zur Republik. Erst mit dem Friedensvertrag von Frankfurt im Mai 1871, mit der Annexion Elsass-Lothringens und der Besetzung Nordfrankreichs bis 1873 endeten alle kriegerischen Maßnahmen.

Die badische Armee, viele Soldaten sprachen „von heiliger Begeisterung“, sprengte 1870 als erste Kriegsmaßnahme die zehn Jahre zuvor erbaute Rheinbrücke zwischen Kehl und Straßburg. Insgesamt war der badische Anteil an den soldatischen Massen des Krieges relativ klein (ca. 15.000). Auf der deutschen Seite kämpften über eine Million Soldaten, auf der französischen Seite beteiligten sich 900.000 Bewaffnete. Zur Struktur der badischen Armee lässt sich Folgendes sagen: Die Dienstzeit verpflichtete die jungen Männer zu sechs Jahren Ausbildungszeit; ab dem 17.Lebensjahr konnte man freiwillig eintreten.

Bis kurz vor dem Krieg 1870/71 erlaubte das Gesetz sogar das Einsteherprinzip. Dieses bedeutete, dass wohlhabende Familien oder Vereinsvorstände einen Stellvertreter gegen „Hinterlegung eines Einstandskapitals“ vorwiesen, um die Einberufung ihrer Söhne oder Mitglieder zu vermeiden. Gleichzeitig ermöglichte dieses System ärmeren jungen Männern, ein Einkommen zu erzielen. Durch weitere Reformmaßnahmen verlängerte die badische Regierung den Armeedienst mit einer siebenjährigen Verpflichtung, die aber nach drei Jahren den Reservestatus vorsah.

Im Krieg selbst trat die badische Armee überwiegend mit Infanterieeinheiten auf den Plan sowie mit insgesamt 54 (!) Geschützen; ihr Hauptaufgabenfeld erstreckte sich auf die Sicherung des Oberrheins, dann auf die Belagerung sowie die Eroberung von Straßburg. Die meisten badischen Truppen setzte die Armeeleitung Richtung Süden ein; und zwar in der Umgebung von Belfort, Besancon und Dijon. Höchste Verluste, jeweils circa 1.000 Tote, verzeichnet die Chronik nach zwei Schlachten im Dezember 1870 und Februar 1871.

Insgesamt befand sich die überwiegende Zahl der badischen Soldaten in guter Verfassung und Kampfesstimmung. Dazu gehört auch die Verleihung von „Eisernen Kreuzen“ als Anerkennung individueller militärischer Leistungen. Kritik äußerten die Soldaten am häufigsten über die Unterbringungsschwierigkeiten.

Zufriedenheit wurde auch hergestellt durch die Requirierung von Essensrationen in den besetzten Gebieten. So erwähnt ein Soldat seinen täglichen Speisezettel:

  • Morgens: Kaffee mit Weck
  • Mittags: Suppe, Fleisch, Gemüse und 5 Zigarren
  • Abends: Warmes Essen und für den Tag ein halbes Pfund gutes Brot

Die Hauptgebiete der militärischen Auseinandersetzungen verortet die Chronik in den nördlichen Teilen Frankreichs; die Schlachten um Metz sowie der Sieg am 2.9.1870 in Sedan verweisen eher schon in die Sphären des hässlichen, schmutzigen Krieges, in die Dimensionen der Kriegsführung des 20. Jahrhunderts. Auch durch die aufkommende Kriegsberichterstattung und durch die neue Technik des Fotografierens erlitt das Siegergefühl in der Öffentlichkeit entsprechende Dämpfer. Zumal die Bilanz der getöteten Soldaten auf beiden Seiten eine eindeutige Sprache spricht: Das neue Deutschland schätzt die Anzahl der Gefallenen auf circa 50.000, die neue französische Republik aber auf rund 140.000.

Es ist schwer mit diesen Kriegsereignissen umzugehen, weil wir heute immer unsere gegenwärtige Sichtweise als Maßstab anlegen, obwohl dies moralisch gerechtfertigt erscheint, aber den historischen Tatsachen oft nicht entspricht.

Gefallene Sandhäuser

  • Gustav Braun 21.05.1850 – 18.12.1870
  • Nikolaus Hartmann 22.06.1845 – ? 1870/71
  • Johannes Stern 02.11.1847 – ? 1870/71
  • Heinrich Willnauer Geburts- und Todesdaten unbekannt

Was wissen wir bisher über diese vier gefallenen Soldaten?

Beginnen wir mit Heinrich Willnauer, über den bisher keine Informationen zur Verfügung stehen. Er stammt sicherlich aus der katholischen Familie Willnauer, in der es im 19. Jahrhundert mehrere männliche Personen mit dem Vornamen Heinrich gab.

Der nächste gefallene Soldat heißt Johannes Stern, der einen zugewanderten Vorfahren aus dem böhmischen Pilsen im damaligen Kaiserreich Österreich-Ungarn aufweist; dieser katholische Migrant heiratete eine Bruchhäuserin. Eine Generation später wuchs Johannes als uneheliches Kind der Katharina Stern zusammen mit seinen beiden Brüdern in Walldorf, Bruchhausen und Sandhausen auf. Unter den Nachfahren seines Bruders Georg finden wir die Sandhäuser Namen Rudolph und Schneider. Auch eine katholische Ordensschwester zählt zur späteren Familienlinie. Von seinen Lebensdaten gelten als bislang gesichert nur das Geburtsdatum; Ort und Tag des Todes bleiben unbekannt.

Es folgt Nikolaus Hartmann, über den wir ebenfalls nur das Geburtsdatum 1845 in Sandhausen besitzen. Er war der Sohn des armen katholischen Tagelöhners Johann Hartmann (1799-1870), der 1839 die evangelische Maria Herzog ehelichtete. Aus der Ehe entstammen elf Kinder, von denen einige bereits als Kinder verstarben. Eine Schwester und ein Bruder suchten aus verschiedenen Gründen ihr Glück in der Migration in die USA. Zur weiteren Familienlinie zählen die Namen Engelhorn, Köhler, Willnauer und Hilbert.

Am meisten wissen wir über den 1850 geborenen Gustav Braun, denn er war der Sohn des lokalen evangelischen Pfarrers Johann Georg Hartmann (1820-1879). Als Georg Hartmanns Geburtsort ist Wiesloch verzeichnet. Verheiratet mit Rosalie Brecht aus Bammental (1825-1864), wuchs in ihrer Ehe eine achtköpfige Kinderschar heran. Gustav war der Zweitgeborene; mindestens drei der Kinder verstarben als Kleinkinder. Nach dem Ableben der ersten Ehefrau des Pfarrers ging er 1866 eine zweite Ehe ein. Ob der Tod der Mutter Gustavs und die Verhaltensweise der Stiefmutter eine Rolle spielten, um sich der Armee anzuschließen, bleibt Spekulation.

Der Vater hätte ihn ja auch freikaufen können, was damals rechtlich im Bereich des Möglichen lag. Denn Pfarrer Hartmann strahlte, so die Berichte, Milde, Verständnis und Herzenswärme aus, die sich nicht nur in pietistischer Frömmigkeit zeigte, da er Fürsorge organisierte und auch persönlich arme Gemeindemitglieder finanziell unterstütze.

Dass er, wie andere humanistische Zeitgenossen, die ausbeuterische Kinderarbeit brandmarkte, stieß nicht nur bei den Zigarrenfabrikanten auf keine Gegenliebe; selbst die Eltern unterstützten die Kinderarbeit, um das Lebensnotwendige verdienen zu können.

In der Trauer um ihre gefallen Söhne, Geschwister und Enkel standen unabhängig von der Konfession alle betroffenen Sandhäuser Familien zusammen. Siegesfeiern konnten diese Trauer nicht überwiegen.


– Fortsetzung folgt –


 

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