„Was heißt hier gehörlos und taub?“ – Informationsserie der Kommunalen Behinderten-beauftragten

(4.7.22) Gehörlosigkeit und Taubheit – Fremd in der Heimat

Hörbehinderungen umfassen ein großes Spektrum unterschiedlicher Grade und Arten von Beeinträchtigungen. Ein Teil der Personen ist von Geburt an hörbehindert. Es gibt aber auch viele spät ertaubte Menschen. So unterschiedlich die Formen sind, so unterschiedlich sind die Auswirkungen auf den Alltag und die Kommunikationsformen.

Hörbeeinträchtigungen werden aus medizinischer Sicht über den Grad des Hörverlustes festgelegt. Unterschieden wird dabei in Taubheit, hochgradige Schwerhörigkeit, sowie mittelgradige und leichtgradige Schwerhörigkeit. Gehörlose Menschen sind in der Regel taub oder hochgradig schwerhörig.

Die Gehörlosengemeinschaft selbst definiert sich dagegen nicht über den Hörverlust, sondern über ihre Sprache und ihre Kultur. Gehörlose und stark schwerhörige Menschen kommunizieren untereinander meist in der Deutschen Gebärdensprache (DGS).

 

Deutsche Gebärdensprache (DGS) und Lautsprachbegleitende Gebärden (LBG)

Die DGS ist seit 2002 offiziell als eigene und vollständige Sprache anerkannt. Sie ist ein visuelles Sprachsystem mit einer eigenen Grammatik. Die Gebärdensprache besteht aus Handzeichen, Mimik und Körperhaltung mit einem umfassenden Vokabular. Ähnlich wie bei der gesprochenen Sprache gibt es auch hier regionale Dialekte. Die Deutsche Gebärdensprache ist meist die Muttersprache, die deutsche Schriftsprache eine Fremdsprache. In diesem Fall ist es für viele Gehörlose eine Hilfe, wenn Texte in Leichter oder Einfacher Sprache vorliegen.

Lautsprachbegleitende Gebärden sind dagegen keine eigene Sprache, vielmehr wird die deutsche Sprach-Grammatik beibehalten und von Gebärden begleitet.

 

Die geschichtliche Entwicklung

Die erste Gehörlosenschule wurde 1971 gegründet. 1880 wurde die Gebärdensprache als Folge des Mailänder Kongresses aus dem Unterricht weitgehend verbannt, mit dem Ziel der Anpassung an die hörende Welt. Die Vollwertigkeit der Gebärdensprache wurde von Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftlern in den 1960er Jahren festgestellt. Die Anerkennung als eigene Sprache erfolgte jedoch erst durch das Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes im Jahr 2002. Der historische Begriff „taubstumm“ ist seither diskriminierend, da Gehörlose in der DGS kommunizieren, also nicht stumm sind. Es wird daher heute in der Regel die Bezeichnung taub oder gehörlos verwendet.

 

Wie viele Menschen sind betroffen

In Deutschland leben ca. 80.000 Gehörlose und ca. 16 Millionen Schwerhörige. Etwa 140.000 von ihnen haben einen Grad der Behinderung (GdB) von über 70 und sind auf Gebärdensprachdolmetschende angewiesen. Da aber keine Meldepflicht besteht und Gehörlosigkeit nicht erfasst wird, existiert vermutlich eine hohe Dunkelziffer. Nur ca. 15 % sind von Geburt an gehörlos. Gründe für später erworbenen Hörverlust sind Krankheiten, Unfälle und Nebenwirkungen von Medikamenten aber auch altersbedingter Verschleiß.

Gehörlosigkeit hat neben sprachlichen auch kulturelle Aspekte. Gehörlose sind von der Sprach-Kommunikation oft ganz ausgeschlossen. Das hat unter anderem zu einer ausgeprägten eigenen Kultur geführt. Ausdrucksformen der Gehörlosenkultur sind beispielsweise Gebärdensprachepoesie, Gehörlosentheater, Tanz und bildende Kunst.

Mehr als bei anderen Beeinträchtigungen verlaufen die Lebenswelten von Hörenden und Hörbeeinträchtigten oft getrennt voneinander. Gebärdensprechende müssen in der sprechenden Welt gut vorausplanen, sich Gebärdensprachdolmetsche buchen etc.

 

Was ist in der Kommunikation wichtig

Ein zentrales und oft mit Unsicherheit besetztes Thema ist die Kommunikation und die Kontaktaufnahme zu Menschen mit Hörbehinderung. Mimik, Winkbewegungen, leichte Armberührungen von vorne oder auch Lichtsignale durch Betätigen des Lichtschalters sind Mittel, um den ersten Kontakt einzuleiten.

Im lautsprachlichen Gespräch miteinander ist es wichtig, sich anzuschauen, deutlich zu artikulieren und Mimik und Gestik einzusetzen. Bilder und kurze Sätze können hier unterstützen. Gleichzeitiges Sprechen und Lesen sowie Umweltgeräusche sind für hörbeeinträchtigte Personen Störquellen, die vermeidbar sind.

Kommunikationsformen sind, je nach Art der Hörbeeinträchtigung Lautsprache, Lautsprachbegleitendes Gebärden (LBG), Lautsprachunterstützendes Gebärden (LUG) oder die Deutsche Gebärdensprache (DGS). Taubblinde verständigen sich mit Brailleschrift, geführten Gebärden oder taktilen Gebärdensprachen sowie Lormen.

Filme sind mittlerweile teilweise mit Untertiteln versehen. Zunehmend werden Fernsehendungen und Veranstaltungen in Gebärdensprache übersetzt, live oder über eingeblendete Videos. Bei Vorträgen werden teilweise hörtechnische Anlagen eingesetzt, welche Geräusche, Sprache und Musik direkt an das Hörgerät oder das Cochlea-Implantat übertragen. Die Übertragungstechnik erfolgt auf unterschiedliche Weise. Es hängt also im Einzelfall immer davon ab, welche Hörhilfe verwendet wird und ob eine Höranlage vorhanden ist.

 

Kinder mit Hörbehinderung

Für Kinder mit Hörbehinderung müssen Hilfen so früh wie möglich ansetzen, da für die spätere Spracherkennung im Gehirn neuronale Verbindungen geknüpft werden müssen. Dies ist die Voraussetzung, um später Sprechen und auch Schreiben lernen zu können. Von Geburt an gehörlosen oder früh ertaubten Menschen fällt es daher sehr viel schwerer als hörenden Menschen, Texte zu verstehen oder zu schreiben. Die aktuelle Fachmeinung empfiehlt daher das parallele Erlenen von Laut- und Gebärdensprache. Die Zweisprachigkeit ermöglicht eine deutlich verbesserte Teilhabe. Interdisziplinäre Frühförderstellen und spezialisierte Sonder-pädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) bieten hier Information und Beratung an.

 

Alltagshürden für Menschen mit Hörbeeinträchtigung sind beispielweise:

– Eine Kommunikation mit Sprechenden setzt von diesen Gebärdensprachkenntnissen voraus oder es muss ein Gebärdensprachdolmetscher zur Übersetzung dabei sein. Dies ist im Alltag oft nicht gewährleistet.

– Kulturelle Angebote wie Theater oder Kino sind ohne Gebärdensprachdolmetschenden oder besonderer Technik nicht nutzbar.

– Bei Störungen oder Änderungen im öffentlichen Nahverkehr findet meist keine oder eine unzureichende Information statt, so dass Anschlüsse verpasst werden.

– Akustische Signale, z.B. Alarmsirenen, und lautsprachliche Informationen können nicht oder nur unvollständig wahrgenommen werden.

-Bildung wird oft über komplexe schriftliche Informationen vermittelt, die einen Spracherwerb des gesprochenen Deutschen voraussetzen.

-Taubheit trennt von nichtgebärdensprachkompetenten Menschen, Berührungsängste der Hörenden verstärken diese.

-Telefonische Terminvergaben durch Behörden, Gesundheitsdienste, Arztpraxen etc.

– Vom Umfeld wird mangelnde Sprachkompetenz der gesprochenen Sprache teilweise mit Dummheit assoziiert.

– Das Angebot an Gebärdensprachdolmetschenden deckt die Nachfrage nicht. In Baden – Württemberg kommen auf einen Dolmetscher etwa 117 Gehörlose.

– Die Maskenpflicht hat die Kommunikation in Deutscher Gebärdensprache erheblich behindert.

Deshalb ist es wichtig, dass barrierefreie Informationen immer nach dem Zwei-Sinne-Prinzip erfolgen, um sensorische Beeinträchtigungen auszugleichen, d.h. bei Hörbeeinträchtigten das Ansprechen des Seh- und/oder des Tast-Sinns.

Verständigung, Kontaktaufnahme und Kommunikation untereinander ebnen den Weg in eine inklusive Gesellschaft. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung war die Anerkennung der DGS im Jahr 2002 als eigene Sprache. Im Oktober 2021 wurde von der Kultusministerkonferenz die Empfehlung zur Einführung eines Unterrichtsfachs Deutsche Gebärdensprache im Wahlpflichtfachbereich der Sekundarstufe 1 verabschiedet.

Die konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aber würde eine Etablierung der Gebärdensprache als gleichberechtigte (Mutter-)Sprache schon im Kindergarten bedeuten.

Die Entwicklung neuer Technologien im Bereich der kompensierenden Hilfen eröffnen hörbehinderten Menschen immer bessere Hilfen, dass umfasst die Hörgeräteversorgung, die Versorgung mit einem Cochlea-Implantat, Bildtelefone und Spracherkennungssoftware. Allerdings tritt eine Verpflichtung zur Umsetzung der Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen für Wirtschaftsunternehmen erst im Jahr 2025 in Kraft.

 

Kontaktadressen:

Landesverband der Gehörlosen Baden-Württemberg e.V.

Telefax: 0711 / 23 63 149

Skype: [email protected]

E-Mail: [email protected]

 

Silke Ssymank

Kommunale Behindertenbeauftragte des Rhein-Neckar-Kreises

Telefon: 06221 522-2469

E-Mail: [email protected]

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Kurz-URL: https://leimenblog.de/?p=150844

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