17. Juni 1953 – Der vergessene Aufstand!

(Riesa-Lokal.de, 17. Juni 2013) Liebe Leserinnen und Leser, heute ist der 60. Jahrestag des 17. Juni 1953, jenes zentralen Tages des Volksaufstandes in der DDR.

Und während der Erinnerung an die Grausamkeiten und Verbrechen des Nationalsozialismus in der Öffentlichkeit völlig zu Recht ein breiter Raum eingeräumt wird, ist der Volksaufstand in den Tagen um den 17. Juni 1953 zu Unrecht kaum einem Medium, egal ob Presse oder Fernsehen, einer Würdigung wert.

553 - 17 Jun 53In der DDR war dieser Tag selbstverständlich kein Thema, und öffentlich wurden die damaligen Ereignisse als gescheiterter Umsturzversuch kapitalistischer Agenten und Provokateure abgetan. Und in der alten Bonner Republik war der 17. Juni zwar bis zur Wiedervereinigung offizieller Feiertag, aber wer diesen Tag ernst nahm und tatsächlich an die Volksaufstand erinnern wollte und die Beseitigung der deutschen Teilung anmahnte, sah sich zunehmend als nazistischer Kriegstreiber und ewig Gestriger verunglimpft, weil er die schöne, wie in Stein gemeißelte Nachkriegsordnung, mit der sich die Mehrheit im Westen arrangiert hatte, in Frage stellte.

Dabei ist gerade dieser 17. Juni 1953, den man getrost als gescheiterter Vorläufer des 9. November 1989 bezeichnen kann, jedes Gedenkens und Nachdenkens wert. Zeigt er doch anschaulich, was 1989, anstelle der friedlichen Revolution, auch hätte geschehen können und auf deutschem Boden nie wieder geschehen darf.

Die Vorgeschichte der Ereignisse:

Nach der 2, Parteikonferenz der SED im Juli 1952 fand unter Walther Ulbricht zum „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“ eine Zentralisierung der Staatsmacht nach sowjetischem Vorbild statt. Die fünf Länder, die heute wieder existieren, wurden neu in 14 Bezirke eingeteilt, wobei Ost-Berlin als 15. Verwaltungseinheit mit einbezogen wurde.

Die verbliebene Mittelschicht der DDR wurde noch stärker drangsaliert, mit dem Ziel insbesondere Bauern und kleine Handels-, Handwerks- und Gewerbebetriebe durch erhöhte Abgaben, die teilweise bis zu 90% des Gewinns betrugen, zur Aufgabe ihrer Selbstständigkeit zu zwingen.

Zudem wurden sie, völlig zu Unrecht, für die, in Wahrheit durch die Staatsführung und die hohen an die UdSSR zu leistenden Reparationsleistungen verursachten, wirtschaftlichen Probleme verantwortlich gemacht.

Die SED hatte in ihrem Programm, neben der Ablehnung der Wiedervereinigung Deutschlands, auch einen „beschleunigten Kurs“ beim Aufbau des Sozialismus beschlossen, der die Schwerindustrie einseitig förderte, dafür aber andere Bereiche und insbesondere die ausreichende Versorgung der Bevölkerung völlig vernachlässigte.

Im Frühjahr 1953 kam es dann zu einer ernsten Ernährungskrise. Die schon von der Sowjetischen Besatzungsmacht verfügten Enteignungen der Großbauern und die Bodenreform (Junkerland in Bauernhand) hatten viele Bauern zum Verlassen ihrer Höfe und zur Flucht in den Westen veranlasst.

Die Parzellierung der enteigneten Ländereien zu „Neubauernstellen“ und vor allem der Mangel an landwirtschaftlichen Geräten vieler Neubauern machte ein wirtschaftliches Arbeiten kaum möglich.

Um diesen gewaltigen wirtschaftlichen Problemen zu begegnen, beschloss dann im Mai 1953 das Zentralkomitee der SED die Erhöhung der Arbeitsnormen (Mehr Arbeit für gleichen Lohn) in allen Volkseigenen Betrieben um 10 Prozent, also eine 10 prozentige Lohnkürzung. Und dies ausgerechnet bis zum 30. Juni, dem 60. Geburtstag Walter Ulbrichts.

Eigentlicher Auslöser des Aufstandes war dann vermutlich ein am 16. Juni in der Gewerkschaftszeitung Tribüne erschienener Artikel, der die zehnprozentige Normenerhöhung als „in vollem Umfang richtig“ rechtfertigte.

Der Aufstand:

Der eigentliche Aufstand nahm am Dienstag, dem 16. Juni 1953 auf zwei Großbaustellen in Berlin seinen Anfang. Es kam zu ersten Arbeitsniederlegungen auf der Baustelle des Block 40 in der Stalin-Allee (seit 1961 Karl-Marx-Allee) und dem Krankenhausneubau in Berlin-Friedrichshain.

Von beiden Orten aus formierte sich ein zunächst kleiner Protestzug, der sich auf dem Weg zum Haus der Gewerkschaften des FDGB und weiter zum Regierungssitz in der Leipziger Straße schnell – vor allem um weitere Bauarbeiter – vergrößerte.

Nachdem sich die FDGB-Gewerkschaftler geweigert hatten, die Arbeiter anzuhören, erfuhr der Demonstrationszug vor dem Regierungsgebäude, dass das Politbüro am gleichen Tag die Rücknahme der Normenerhöhungen beschlossen hatte.

Inzwischen bewegten sich die Forderungen der Menge allerdings über diesen konkreten Anlass weit hinaus.

Die Menge forderte nun unter anderem der Rücktritt der Regierung und freie Wahlen und zog anschließend in einem ständig anwachsenden Demonstrationszug durch die Innenstadt zurück zu den Baustellen an der Stalinallee.

Unterwegs wurde bereits durch Sprechchöre und über einen erbeuteten Lautsprecherwagen der Generalstreik ausgerufen und die Bevölkerung für den folgenden Tag um 7 Uhr am Strausberger Platz zu einer Protestversammlung aufgerufen wurde.

Am Morgen des 17. Juni brach dann im gesamten Gebiet der DDR etwas aus, was später als Aufstand des 17. Juni in die Geschichtsbücher eingehen sollte.

Die Belegschaften vor allem großer Betriebe traten mit Beginn der Frühschicht in den Streik und formierten sich zu Demonstrationszügen, die sich in die Zentren der größeren Städte richteten.

Außer in Berlin kam es in über 700 Orten in der DDR zu Streiks, Kundgebungen oder Gewalttätigkeiten gegen offizielle Personen oder Einrichtungen.

Die Aufständischen besetzten 11 Kreisratsgebäude, 14 Bürgermeistereien, 7 Kreis- und eine Bezirksleitung der SED. Weiterhin wurden 9 Gefängnisse und 2 Dienstgebäude der Staatssicherheit sowie 8 Polizeireviere, 4 Volkspolizei-Kreisämter und eine Dienststelle der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei erstürmt. Mehr als doppelt so viele Einrichtungen wurden bedrängt, die Besetzung gelang jedoch nicht.

Die Polizei war mit dem Ausmaß der Ereignisse hoffnungslos überfordert, teilweise liefen Volkspolizisten zu den Demonstranten über.

In den Kreisen Görlitz und Niesky wurde für wenige Stunden das SED-Regime beseitigt. Die DDR-Regierung flüchtete sich nach Berlin-Karlshorst unter den Schutz der sowjetischen Behörden.

Der Ministerpräsident der DDR Otto Grotewohl erklärte im DDR-Rundfunk ausdrücklich noch einmal die Rücknahme der Normenerhöhungen. Der Aufstand jedoch sei „das Werk von Provokateuren und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus deutschen kapitalistischen Monopolen.

Diese Darstellung als von außen inszenierten, konterrevolutionären Putschversuch wurde dann die späteren offiziellen Lesart des 17. Juni in der DDR-Geschichtsschreibung.

Die sowjetische Besatzungsmacht reagierte mit der Verhängung des Kriegsrechtes für 167 der 217 Landkreise der DDR und übernahm damit offiziell wieder die Regierungsgewalt über die DDR.

Zur Unterdrückung des Aufstandes, der mit dem Auftauchen der sowjetischen Panzer schnell an Schwung verlor, wurden 16 Divisionen der Roten Armee und rund 8.000 Angehörige der Kasernierten Volkspolizei in Marsch gesetzt.

Doch obwohl die sowjetischen Behörden die Situation schon am 17. Juni weitgehend unter Kontrolle brachten, kam es auch in den darauf folgenden Tagen noch zu Protesten, vor allem am 18. Juni, die in einzelnen Betrieben aber auch noch bis in den Juli anhielten. So wurde am 10. und 11. Juli noch bei Carl Zeiss in Jena und am 16. und 17. Juli im Buna-Werk in Schkopau gestreikt. Die Stärke des 17. Juni 1953 wurde aber nicht mehr annähernd erreicht.

Die Abrechnung der diktatorischen Staatsmacht mit dem unbotmäßigen Volk kam prompt. Am 17. Juni und den Tagen danach wurden 34 Demonstranten und Zuschauer von Volkspolizisten und sowjetischen Soldaten erschossen oder verloren ihr Leben an den Folgen von Schussverletzungen.

In einer ersten Verhaftungswelle mit etwa 6.000 Verhaftungen durch Polizei, Staatssicherheit und Rote Armee wurden vor allem so genannte „Provokateure“ verfolgt.

Die sowjetischen Truppen setzten bis zum 22. Juni 1953 Standgerichte ein, von denen 19 Aufständische zum Tode verurteilt und erschossen wurden. Hunderte wurden zu Zwangsarbeitslagerstrafen in Sibirien verurteilt.

Und ein Bericht der Generalstaatsanwaltschaft der DDR vom März 1954 über „die Aburteilung der Provokateure des Putsches vom 17.6.1953“ bis Ende Januar 1954 ergibt bei 1.526 Angeklagte folgendes Bild:

2 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt

3 Angeklagte erhielten eine lebenslängliche Zuchthausstrafe

13 Angeklagte wurden zu Zuchthausstrafen von 10 bis 15 Jahren verurteilt.

99 Angeklagte erhielten Zuchthausstrafen zwischen 5 und 10 Jahren.

824 Angeklagte bekamen Gefängnisstrafen von 1 bis 5 Jahren.

546 Angeklagte erhielten Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr.

39 Angeklagte wurden freigesprochen.

Die infolge des 17. Juni Verurteilten wurden in den Haftanstalten mit einem gelben „X“ gekennzeichnet. Aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung, der Schikanen des Wachpersonals und des mangelhaften Arbeitsschutzes in den Zuchthäusern erlitten viele „X-er“ schwere gesundheitliche Schäden. Den Ehefrauen der Verurteilten wurde oft zur Scheidung geraten oder mit der Wegnahme ihrer Kinder gedroht.

Die SED nutzte außerdem den Aufstand zur Disziplinierung ihrer eigenen Genossen. So wurden die vor allem aus der früheren SPD stammenden und gemäßigte politische Ansichten vertretende Mitglieder aus der Partei entfernt.

Der Justizminister Max Fechner, der nach dem 17. Juni mäßigend auf die Strafjustiz einwirken wollte, wurde am 14. Juli 1953 seiner Funktion enthoben, wegen partei- und staatsfeindlichen Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen und inhaftiert.

Ebenso wurden Parteifunktionäre und Angehörige der Volkspolizei bestraft, denen die SED-Führung „versöhnlicherisches, kapitulantenhaftes und unkämpferisches Verhalten“ vorwarf.

Rudolf Herrnstadt, der damalige Chefredakteur des Neuen Deutschland, wurde für die Ereignisse am 17. Juni 1953 mitverantwortlich gemacht, entlassen und aus der SED ausgeschlossen.

Und Karl Eduard von Schnitzler (Der schwarze Kanal) stellte den Aufstand, an dem sich bis zu 1,5 Millionen Menschen beteiligt hatten, im DDR-Rundfunk so dar: „… unter Missbrauch des guten Glaubens eines Teils der Berliner Arbeiter und Angestellten, gegen grobe Fehler bei der Normerhöhung mit Arbeitsniederlegung und Demonstrationen antworten zu müssen, wurde von bezahlten Provokateuren, vom gekauften Abschaum der Westberliner Unterwelt ein Anschlag auf die Freiheit, ein Anschlag auf die Existenz, auf die Arbeitsplätze, auf die Familien unserer Werktätigen versucht.“

Hingegen verarbeitete Berthold Brecht die Ereignisse des 17. Juni in seinem Gedicht Die Lösung mit dem berühmten Schlusssatz: „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“

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