Stellungnahme der CDU zum Gesetzentwurf: „Volksantrag mehr Demokratie“
Gesetz zur Einführung von Einwohneranträgen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in Landkreisen. Der Landesverband „Mehr Demokratie hat einen Gesetzentwurf zum Volksantrag „Mehr Demokratie in den Landkreisen“ vorgelegt.
Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg sieht dazu folgendes vor:
„Das Volk kann die Befassung des Landtags mit Gegenständen der politischen Willensbildung im Zuständigkeitsbereich des Landtags, auch mit einem ausgearbeiteten und mit Gründen versehenen Gesetzentwurf, beantragen. Der Landtag hat sich mit dem Volksantrag zu befassen, wenn dieser von mindestens 0,5 vom Hundert der Wahlberechtigten (= ca. 40.000 Unterschriften sind notwendig) gestellt wird. Eine durch Volksbegehren eingebrachte Gesetzesvorlage ist zur Volksabstimmung zu bringen, wenn der Landtag der Gesetzesvorlage nicht unverändert zustimmt. Bei der Volksabstimmung entscheidet die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Das Gesetz ist beschlossen, wenn mindestens zwanzig vom Hundert der Stimmberechtigten zustimmen.“
Wesentlicher Inhalt
Der Gesetzentwurf führt mit Einwohnerantrag, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten auf der Landkreisebene im Zuständigkeitsbereich der Kreistage ein. In Angelegenheiten des Landratsamts als unterer staatlicher Verwaltungsbehörde sowie bei Kreisaufgaben, deren Erledigung dem Landrat obliegen, greift dieser Gesetzentwurf nicht ein. Einwohneranträge werden auch auf der Landkreisebene eingeführt. Einwohneranträge sind jederzeit möglich zu allen Themen, die in die Entscheidungskompetenz des Kreistags oder seiner Ausschüsse fallen. Sie müssen von mindestens 1000 Einwohnern, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, unterzeichnet sein und sollen eine Begründung enthalten. Nach Feststellung der Zulässigkeit des Antrags und Anhörung der Vertrauenspersonen hat der Kreistag über den Antrag in der Sache zu entscheiden.
Der Kreistag kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen aller Mitglieder beschließen, dass eine Angelegenheit des Wirkungskreises des Landkreises, für die der Kreistag oder ein beschließender Ausschuss des Kreistags zuständig ist, der Entscheidung der wahlberechtigten Kreiseinwohner unterstellt wird.
Über eine Angelegenheit des Wirkungskreises des Landkreises, für die der Kreistag oder ein beschließender Ausschuss des Kreistags zuständig ist können die wahlberechtigen Kreiseinwohner einen Bürgerentscheid beantragen. Es muss von mindestens 7 vom Hundert der wahlberechtigten Kreiseinwohner unterzeichnet sein, höchstens jedoch von 20 000 wahlberechtigen Kreiseinwohnern. Bei einem Bürgerentscheid ist die gestellte Frage in dem Sinne entschieden, in dem sie von der Mehrheit der gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit in Landkreisen bis zu 150000 Einwohnern mindestens 10 vom Hundert, mit mehr als 150000 Einwohnern mindestens 8 vom Hundert der Stimmberechtigten beträgt. Bei Stimmengleichheit gilt die Frage als mit Nein beantwortet. Ist die nach Satz 1 erforderliche Mehrheit nicht erreicht worden, hat der Kreistag die Angelegenheit zu entscheiden.
Die CDU – Kreisrätinnen und –Kreisräte haben sich mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt und folgende Stellungnahme verabschiedet:
Sieben kritische Anmerkungen zu einem Einwohnerbegehren auf Kreisebene
Verlagerung von Entscheidungswegen
Das Grundgesetz der Bundesrepublik ist als repräsentative Demokratie gestaltet. Die Entscheidungen erfolgen in demokratische legitimierten Parlamenten und Vertretungen. Die zunehmende Verlagerung von Entscheidungswegen fort von den demokratisch legitimierten Vertretern des Volkes aus den unterschiedlichsten Parteien, Herkünften und Bevölkerungsschichten führt spürbar nicht zu einer Verbesserung des gesellschaftlichen Klimas, sondern zu einer zunehmenden Spaltung unserer Gesellschaft. Das massive Eintreten von einzelnen gut organisierten Bevölkerungsgruppen für Partikularinteressen hat dazu geführt, dass das Tragen von Verantwortung für eine Gesellschaft in Gänze nicht mehr positiv gesehen wird, vielmehr sogar um des eigenen Vorteils willen von sogenannten „Volksbefreiern“ bekämpft wird.
Verlust an Anerkennung der politischen Arbeit
Das völlige Verschwinden von Respekt und Anerkennung für Entscheidungsträger in unserer Gesellschaft ist nicht einem Mangel an Transparenz geschuldet. Vielmehr wird versucht, durch ständiges Attackieren und Diffamieren von Entscheidungsträgern auf durchaus sehr subtile Weise („wir sind das Volk“, „fehlende Transparenz“, „keine Mitspracherechte“; „Lügenpresse“ etc.) ein Umfeld des Misstrauens zu schaffen, das die Menschen glauben lässt, Entscheidungsträger verfolgten nur ihre eigenen Interessen. Dabei ist genau das nicht der Fall.
Das Bürger- bzw. Einwohnerbegehrung verfolgt in der Regel nur Interessen einer kleinen Gruppe
Ein Bürgerbegehren verfolgt nur die Interessen einer oft kleinen Gruppe, während ein gewähltes Gremium viel zu heterogen besetzt ist, um ein Eigeninteresse zu haben. Die dort stattfindende Selbstkontrolle sorgt genau dafür, dass Abwägungsprozesse durchgeführt werden, dass möglichst viele und unterschiedliche Sichten eingenommen werden und dann am Schluss ein tragfähiger Konsens entsteht, der möglichst vielen Menschen zu Gute kommt. Dies schließt niemanden davon aus, sein Partikularinteresse vorzutragen und Mitstreiter zu finden, um dieses dann durch das politisch legitimierte Gremium beleuchten zu lassen. Da Dinge aber immer bis zum Schluss durchdacht und auch finanziert werden müssen, kann es keinen Weg geben, der die am Schluss zu tragenden Verantwortung (auch für die nachfolgenden Generationen) und den vorher stattfindenden breiten Meinungsfindungsprozess eines gewählten Gremiums ersetzen darf.
Verlust an Bürgerschaft und Gemeinsinn
Die zunehmende Spaltung von Städten und Gemeinden, selbst Familien, nach Bürgerentscheiden welcher Art auch immer zeigt deutlich, dass dieses Instrument überhaupt nicht geeignet ist, konsensual zu wirken, was im Rahmen der einbeziehenden Gremienarbeit aber selbstverständlich ist. Der Verlust an Bürgerschaft und Gemeinsinn ist vor allem denjenigen geschuldet, die aufgrund einer Ideologie versuchen, mit unterschiedlichen Mitteln nachhaltig das Vertrauen in gewählte Gremien zu erschüttern, Entscheidungsträger in eine korrumptive und undurchsichtige Ecke zu drängen und die Verantwortlichkeit für Handeln als Nebensache beiseite zu schieben. Dies wird unserer Gesellschaft immer mehr schaden, mittlerweile sind die Zentrifugalkräfte dieses Prozesses, der die individuelle Bedürfnisbefriedigung über das Allgemeinwohl stellt, deutlich spürbar.
Minderheiten und Einzelgruppen werden gestärkt
Die politische Stärkung der Einzelgruppen und Minderheiten, deren Rechte in unserer Demokratie an keiner Stelle eingeschränkt sind, gegenüber den Mehrheiten ist nicht notwendiger Ausdruck unseres hedonistischen Zeitgeistes, sondern der hedonistische Zeitgeist ist das Ergebnis des immer weiter verdrängten Gemeinsinns. Das Prinzip der Aushöhlung der Volksvertretungen hat sich schon weit in unsere Gesellschaft gefressen. Wir akzeptieren den überbordenden Egoismus als gesellschaftliches Phänomen und erkennen nicht, dass dies das logische Ergebnis der ständigen Stärkung einzelner Weniger ist. Wollen wir das als Gesellschaft?
Die vorgesehenen Quoren im Gesetzentwurf präferieren Minderheiten
Nach dem Gesetzentwurf kann ein Einwohnerantrag auf Behandlung einer Angelegenheit im Kreistag könnte bereits von 1.000 Einwohnern ab dem 14. Lebensjahr gestellt werden. Bei 544.400 sind ca. 460.000 – 470.000 über 14 Jahre alt! Dies entspricht einem Anteil von rund 0,2 %!!
Nach dem Gesetzentwurf wäre ein Einwohnerbegehren im Rhein-Neckar-Kreis von 20.000 stimmberechtigten Einwohnern zulässig. Die entspricht ca. 2 % der stimmberechtigten Einwohner
Nach dem Gesetzentwurf wäre ein Einwohnerbegehren erfolgreich, wenn dies von 8 % der stimmberechtigen Bevölkerung unterstützt wird. 2014 waren 429.435 Einwohner wahlberechtigt. 8 % wären ca. 35.000 Ja-Stimmen notwendig. sofern die JA-Stimmen überwiegen. Bei diesen Quoren könnten Minderheiten die Kreispolitik bestimmen. Wäre dies demokratisch?
Einwohnerbegehren richtet sich in der Regel gegen Entscheidungen
Bürger- bzw. Einwohnerbegehren/-entscheide richten sich in der Regel gegen eine Entscheidung des demokratisch legitimierten Gremiums. Verschiedene notwendige Entscheidungen (z. Standort eine Abfallverwertungsanlage, einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge, Umstrukturierung von Krankenhäusern) könnten hinausgezögert oder sogar verhindert werden.
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