Diljemer Nachtwächter-Führung:
„Mitten im Dorf – essen, trinken, einkaufen“

(fwu – 5.10.23) Am vergangenen Samstag fanden sich gut 70 Personen, die meisten davon seit Jahrzehnten wenn nicht seit Generationen in St. Ilgen beheimatet,  zur Nachtwächterführung des Stadtteilvereins St. Ilgen ein. Diese stand unter dem Motto: „Mitten im Dorf – essen, trinken, einkaufen“.

Auf dem Friedrichsplatz, auch Keeschdeboomplatz (Kastanienbaumplatz) genannt, heute der Tigyplatz, begann die Führung mit einer stilechten Begrüßung durch den perfekt kostümierten und mit großer Glocke ausgerüstetem Nachtwächter Jürgen Steinbächer in Begleitung der Damen des Stadtteilvereins in ihren historischen Trachten.

Zunächst berichtete hier Ilonka Zipf über die ehemalige Geschäftswelt in St. Ilgen. Danach ging es die Weberstraße hoch bis zur Ecke Theodor-Heuss-Straße, wo dann Gabriele Zinke über die Geschichte der Gaststätten „Adler“ und „Deutscher Kaiser“ berichtete.

Beide Berichte dürfen wir hier vollständig wiedergeben (s.u. nach der Bilderstrecke) und so auch für die alten und neuen und künftigen Diljemer zugänglich machen, die nicht an dieser denkwürdigen Führung teilnehmen konnten. Vielen Dank dafür!

Ergänzt wurden die Vorträge duch musikalische Einlagen von Rudi Sailer mit Akkordeon („Die kleine Kneipe“, Das FC Badenia Fußballer-Lied: „Wenn wir erscheinen auf grünem Rasen“) und sogar einem kleinen traditionellen Wurstbrötchen-Happen. Nach den Vorträgen ging es dann noch in das Generationen-Zentrum, in dem man alte Bilder aus Dilje betrachten und ein kühles Getränk zu sich nehmen konnte. Der Stadtteilverein bot hier auch ein Schlückchen des berühmt-berüchtigten „Ratzeputz“ aus der Originalflasche zum Probieren an.



Ilonka Zipf berichtete über die ehemalige Diljemer Geschäftswelt wie folgt:

Drogerie Brenzinger

Zuerst möchte ich über Frau und Herrn Brenzinger berichten. Hier an dieser Stelle allen Unterstützern/Innen für diesen Vortrag ein herzliches Dankeschön!

Herr Brenzinger wurde am 13. August 1922 in Malsch in eine Beamtenfamilie hinein geboren. Er erlernte den Beruf des Drogisten in Heidelberg bei der Drogerie Werner. Wegen seines Augenleidens war er vom Wehrdienst freigestellt. Herr Brenzinger hatte große und vielfältige Kenntnis in seinem Beruf; und ich denke in der heutigen Zeit mit den heutigen Möglichkeiten, hätte Herr Brenzinger sicher eine akademische Laufbahn absolviert.

Bei der täglichen Zugfahrt zu seiner Arbeitsstätte lernte er seine spätere Frau Antonia geb. Mattern aus Sandhausen kennen. Frau Antonia Brenzinger arbeitete auch in Heidelberg; von der Familie und Freunden kurz Toni genannt.

Sie hatte eine kaufmännische Ausbildung. Frau Brenzinger war in hauswirtschaftlichen Dingern sehr bewandert und hatte die Fähigkeit Situationen rasch zu erkennen und diese entsprechend umzusetzen; also eine pragmatische und recht patente, lebenspraktische Frau.

Das 1. Geschäft der Eheleute Brenzinger wurde am 17. August 1949 in der Siedler Str. 2 im vorderen Bereich des Hauses der Familie und späteren Heilpraktikers Leinen eröffnet. Weshalb der Standort St. Ilgen ausgewählt wurde, konnte ich nicht recherchieren. Aber die Eröffnung war sicher ein Glücksfall für St.Ilgen.

Wie es damals oft üblich war, wohnte man einfach und auf engstem Raum. Im OG wurden die Wohnräume auch als Warenlager mitbenutzt und der Verkaufsraum war im Erdgeschoß.

Zur Eröffnung der Drogerie gab es ein Werbeblatt, dieses wurde an die St.Ilgener Haushalte verteilt. Hier ein Auszug: 

„Warum in die Ferne schweifen?, „Die Drogerie – Ihr Fachgeschäft am Platz!

In allen drogeneinschlägigen Artikel ist die Drogerie für Sie eine gute Einkaufsquelle. Seit kurzer Zeit ist es mir gelungen meinem Geschäft einen Rahmen zu geben, wie es ein Ort wie St.Ilgen schon immer benötigt. Aber auch weiterhin werde ich bemüht sein, mir das Vertrauen der Bevölkerung zu erwerben, um auch in dieser so wirtschaftlichen schweren Zeit für Sie stets das Fachgeschäft zu sein!

Ich empfehle für den Landwirt……
Für eine gesunde Tierhaltung ist vorrätig….
Auch mit sämtlichen Chemikalien kann ich Ihnen dienen….
verkauft wurden auch Giftstoffe der Klasse 1 – 3

Für das Kleinkind ist alles vorrätig… später auch die Babygläschen
Gegen Husten, bei Katarrhen für Kind und Erwachsene…..
Reformhausprodukte
Ferne führe ich… Tabakwaren, Schreibwaren, Photoartikel. Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus meinem gutsortierten Warenlager.“

Ergänzt wurden die Drogerieartikel mit einem kleinen Sortiment Textilwaren – Perlonstrümpfe, 1949 für die Frauen ein Hauch von Luxus (zu dieser Zeit wurde ein Laufmaschendienst angeboten), Unterwäsche, Wolle und Kurzwaren. Ebenso wurden Lebensmittel, wie Mehl, Zucker, Essig, Öl, Obst und Gemüse angeboten. Diese Produkte waren in der Regel, so wie wir es heute kennen nicht abgepackt und bemessen. Nein, alles, alle Lebensmittel, aber auch div. Teesorten, Pulver jeglicher Art, auch Gifte mussten abgewogen, ggf. gemischt bzw. verdünnt in ganz bestimmten Verhältnissen z.B. 1:5 und sicher verpackt werden.

Im Zuge des dt. Wirtschaftwunders wurde von 1954 bis 1957 der erste Lehrling eingestellt und zur Drogistin ausgebildet. Vielen sicher noch in Erinnerung; Ursula Nolde, die jüngste Schwester von Frau Brenzinger.

Weberstraße 16a

Ab 1954 erfolgte die Eröffnung des 2. Geschäfts in der Weberstraße 16 a,- vormals das Kolonialwarengeschäft Kraft, gegenüber der Bäckerei Sailer, das in späteren Jahren für lange Zeit das Hauptgeschäft wurde.

Der Warenschwerpunkt in der Weberstraße lag auf dem Drogistensortiment und einer kleinen Auswahl von Textilwaren. Frau Brenzinger führte in der Siedlerstraße das Geschäft mit Kolonial- und Textilwaren weiter. 1955 – 1958 wurde ein 2. Drogistenlehrling eingestellt. Frau Waltraut Ballmann geb. Bräuninger: ihr Arbeitsplatz war vorwiegend in der Weberstraße. 1956 erhielt Herr Brenzinger durch das Landratsamt, die Freigabe pyrotechnischer Gegenstände zu verkaufen, also Feuerwerkskörper und somit eine weitere Attraktion für sein Geschäft.

1958/59 stand eine weitere räumliche Veränderung an. Das Geschäft und die Wohnräume in der Siedlerstraße 2 wurden aufgegeben. Mit dem gesamte Haushalt/stand zogen sie in der Weberstraße 16a ein. Auch hier wohnte man mit sehr einfachem Komfort, eben dem Zeitgeist entsprechend. Über einen längeren Zeitraum arbeiteten Frau und Herr Brenzinger mit Frau Nolde gemeinsam in der Drogerie. Da Frau Nolde inzwischen eine Familie gegründet hatte, wurde zur Verstärkung 1966 – 1969 der 3. Drogistenlehrling Veit Eisenhauer, ein Neffe Frau Brenzinger eingestellt.

Auch privat gab es Veränderungen bei „Brenzingers“. Um etwas mehr Wohnraum und Lebensqualität zu erhalten bzw. zu genießen, bauten sie sich in Sandhausen ein Haus.

Dies hatte zur Folge, dass 1967 sich Frau Brenzinger im reifen Alter entschloss, das Wagnis „ Führerschein“ anzugehen. Herr Brenzinger konnte und durfte wegen seines Augenleidens keinen Führerschein erlangen. Für die damalige Zeit ein mutiger Schritt von Frau Brenzinger, sie bestand den Führerschein, dem Umzug ins eigene Heim stand nichts mehr im Wege.

Ein weiterer unverhoffter Umzug ergab sich 1968. Das Geschäft in der Weberstraße 16a wurde geschlossen und sie eröffneten in der Theodor Heuss Str. 38 das neue Geschäft.

Theodor Heuss Str. 38

Die Eröffnung des Geschäftes in der Theodor Heuss Str. 38, jetzt Friseurgeschäft Friseurwerk, ging einher mit einer deutlichen Erweiterung der Verkaufsfläche und des Warenangebots. Die Ladenfläche wurde der Länge nach aufgeteilt; links die Drogerie, rechts Textil. Im Bereich Drogerie wurden die Parfümerieauslagen durch bekannte Markennamen ergänzt.

Besonders das Sortiment der Textilwaren wurde durch sehr hochwertige Strickwaren namhafter Marken erweitert. Tisch,- Bett- u. Nachtwäsche, Miederwaren, Damen- u. Herrenunterwäsche, Strümpfe und Socken, Schals und Handschuhe u.v.m. Der Textilbereich entwickelte sich, Dank der Geschäftstüchtigkeit von Frau Brenzinger zu einem immer wichtigeren und stützenden Geschäftsfaktor.

Spaßeshalber sagte manchmal Herr Brenzinger, wenn er sein ganzes Warensortiment beschrieb: „Von der Mausefalle bis zum BH, alles können Sie bei uns finden.“

Die Verlagerung des Geschäftsschwerpunkts Textil kam auch der Drogerieabteilung zugute. In dieser Zeit vollzog sich in Branche ein Umbruch, ein Wandel. Die ersten Supermärkte entstanden. So gründete z.B. ein Sohn (Götz Werner) des Inhabers der Drogerie Werner den bekannten DM-Markt. Heute eine bundesweite Größe. Er führte ein neues Geschäftsmodel ein, das Discounter-Prinzip; Selbstbedienung, keine Preisbindung. Der Verkauf vieler Produkte wurde im Handel frei gegeben. So konnte der Kunde z. B. in der Bäckerei Nagellack und andere Produkte aus dem Drogistensortiment erwerben. Viele kleine Tante Emmaläden wurden in dieser Zeit geschlossen. Auch viele Drogen, Medikamente, Gifte durften nur noch in der Apotheke verkauft werden. Die meisten Artikel waren inzwischen verpackt und konnten unkompliziert über die Theke verkauft werden.

Im Zeichen der Vergrößerung wurde ein weiterer Lehrling eingestellt. Von 1969 bis 1972 absolvierte ich als 4. Lehrling meine Drogistenlehre bei der Drogerie Brenzinger und ein weiteres Jahr als Drogistengehilfin. Für den heutigen Vortrag schaute ich nochmals meinen Berufsausbildungsvertrag an. Die Arbeitszeiten gleich Öffnungszeiten waren Montag bis Freitag von 8:00 -13:00 und von 15:00 -18:30, Samstag von 8:00 bis 14:00 Uhr, dafür war der Mittwochnachmittag geschlossen. So betrug die tägliche Ausbildungszeit 8 Stunden, 24 Urlaubstage in jedem Lehrjahr. Das monatliche Gehalt immer brutto; im ersten Lehrjahr DM 180,- / im 2. Ausbildungsjahr DM 200,- und im letzten DM 250,- Das Gehalt im Gehilfenjahr betrug brutto DM 640,- / netto DM 480,-

Zur weiteren Verstärkung wurde 1970 bis 1973 eine weitere Auszubildende zur Drogistin eingestellt; Helga Wiede geb. Schneider. Frau Wiede war bis 1982 bei der Drogerie Brenzinger beschäftigt. In den kommenden Jahren bis 1982 wurden noch 2 weitere Lehrlinge zur Drogistin von Herrn Brenzinger ausgebildet. Insgesamt haben die Eheleute Brenzinger während ihrer Selbständigkeit 7. Lehrlinge erfolgreich ausgebildet und es war bekannt, dass Herr Brenzinger ein gewissenhafter Lehrherr war. Es war auch bekannt, dass Frau Brenzinger die ausgleichende Seele des Betriebs war, aber auch die starke Frau im Hintergrund. Am 31. August 1982 war das offizielle Geschäftsende der Drogerie Brenzinger. Durch die damalige Rentenregelung hatten beide die Möglichkeit mit 60 Jahren in ihren wohlverdienten Ruhestand zu gehen.

Am 1. Sept. 1982 erfolgte die Geschäftsübergabe des Drogisten- und Textilgeschäftes an Ursula Nolde, – Schwester und Schwägerin des Ehepaars Brenzinger. Ab dieser Zeit war das Warensortiment vorwiegend nur noch Textilwaren. 

Gabriele Zinke berichtete:

Wir stehen jetzt hier auf dem Gelände, wo bis 2014 die ältesten Gasthäuser St.Ilgens standen: Der „Deutsche Kaiser“ und der „Adler“. Eigentlich gibt es Gaststätten seit Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen verreisen. Über die Jahrhunderte änderte sich der Sinn und Zweck von Gasthäusern Einst dienten sie als Herberge und Verpflegungsstation. Danach immer mehr dem Zusammenkommen und der Geselligkeit.

„Adler“

Der „Adler“ ist die ältere der beiden Gaststätten. Nach den genau recherchierten Ergebnissen von Egbert Risch hat Rudolf Clauer 1781/82 den „Adler“ erbaut und ihn seiner Tochter Catharina vererbt. Wahrscheinlich war Michael Kraft der erste Wirt. Ehemals hieß die Gaststätte „Schwarzer Adler“.

Nach Informationen von Herrn Hartwig Stumpf

Nach den Informationen von Herrn Bossert von der Stadt Leimen wurde der „Adler“ gemäß dem Einschätzungsverzeichnis und dem Grundbuchamt 1802 für den Wirt und Schreinermeister Friedrich Steinmann an der damaligen Hauptstraße errichtet. Nach Informationen von Hartwig Strumpf lebte er von 1757 – 1816. Bemerkenswert ist, dass der Gasthof bar bezahlt wurde. Der rückwärtige Ökonomieteil wurde um 1910 durch einen Saalbau ersetzt. (Informationen von Harry Bossert von der Stadt Leimen).

Eine der Töchter heiratete Herrn Schütz. Die beiden erhielten die Gaststätte als Hochzeitsgeschenk und bewirtschafteten ihn, bis sie den „Adler“ an eine Leimener Familie verkauften, die ihn lange Jahre bewirtschaftete und anschließend verpachtete.

Die Pächter waren zunächst Georg und Käthe Sailer.

Dann kamen Philipp und Elisabeth Herb, die die Wirtschaft 40 Jahre lang betrieben, ca. von 1930 – 1970. Von ihnen stammt der Spruch:“Wer nix wärd, wärd Wört. Und wer gar nix wärd, wärd Adlerwärt“.

In dieser Zeit wurde der „Adler“ an Johannes Geiser von der Bergbrauerei Leimen verkauft.

Ist ja alles schön und gut. Aber was gab`s denn da eigentlich zu essen?

Am Anfang gab es belegter Brote oder Brötchen mit Hausmacher Wurst.

Warum war die Speisekarte so klein gehalten?

Die Menschen zu der Zeit hatten kein Geld. Gegessen wurde zuhause. Auch die Familienfeste wurden zuhause gefeiert. Da wurde dann die gute Stube aus- und umgeräumt, um Platz für die vielen Gäste zu schaffen. Erst nach und nach kam zu besonderen Gelegenheiten die sogenannte Hausmannskost dazu in Form von Braten oder Schnitzel.

Was waren das denn für besondere Gelegenheiten? Kannst du mir das mal sagen? Das war zu Kerwe, zum Frühlingsfest und zu Winterfeiern. Das Fleisch und die Wurst kamen vom Metzger nebenan und die Weck waren vom Bäcker am Ort. Der Metzger war Abraham Steinmann. Fehlte etwas, konnte es zu jeder Zeit vom Metzger und Bäcker besorgt werden.

Nach der Familie Herb pachtete Familie Zahn von ca. 1970-73 die Gaststätte und danach bewirtschaftete Familie Maier bis 1980 den „Adler“. Brigitte Weick und Dave Wilson übernahmen danach.

Lange Jahre stand im Hof des „Adlers“ ein öffentlicher Kühlschrank aus Holz. Dieser wurde mit Eisblöcken gefüllt, die bei der Bierlieferung mitgeliefert wurden. Um das Schmelzwasser abzulassen, befand sich auf der Vorderseite ein Hahn.

Der „Adler“ war die wichtigste und größte Begegnungsstätte in St.Ilgen.

Unter Familie Maier fand in den 70er Jahren am Wochenende Disco statt. Samstagabends für alle ab 18 Jahren und sonntags von 14.00 – 18.00 Uhr für alle ab 16 Jahren. Der Eintritt war frei.

Wie konnte Familie Maier es sich leisten, keinen Eintritt zu verlangen? Die Stimmung war gut und sie verdienten ihr Geld über die konsumierten Getränke. Der „Adler“ war das Vereinsheim von den Fußballern, Athleten und dem Männergesangverein. Solange der Fußballverein kein eigenes Heim hatte, war der „Adler“ die Vereinsgaststätte. Im Saal fand das Fußballtraining für die Kinder und Jugendlichen statt. 

Das verstehe ich jetzt nicht. Im Saal haben die Fußball gespielt? Ja, da wurde richtig trainiert. Nach dem Fußballtraining oder Spiel stand vor dem Saal im Hof des „Adlers“ eine Zinkbadewanne bereit, damit die Sportler sich frisch machen konnten.

Das war die ganze Dusche? Damals waren Duschen noch unüblich. Man wollte sich einfach ein wenig frisch machen. Danach ging es zum geselligen Beisammensein in die Gaststätte und man stärkte sich bei belegten Broten und Limo oder Bier. Das Limo bezog man unter anderem von Familie Petri, die die Limonade selbst hergestellt hatten. Der „Adler“ besaß im hinteren Teil des Hauses einen Saal mit Bühne und Empore. Dieser Saal wurde von den Theatralern am Ort für ihre Aufführungen einmal im Jahr benutzt.

Der Saal diente auch für diverse Tanzveranstaltungen, Vereinsfeste und Faschingsveranstaltungen für Klein und Groß im Laufe des Jahres.

Der Stammtisch spielte eine wichtige Rolle im täglichen Leben. Deswegen waren die Gasthäuser auch schon morgens um 11 Uhr geöffnet bis Mitternacht. Man traf sich, tauschte sich aus, diskutierte über das Dorf betreffende Dinge, spielte Skat oder Schafkopf. Jeder hatte hier seinen Platz, Einheimischer und Auswärtiger. Außerdem vermietete der „Adler“ auch eine Wohnung und Zimmer.

„Deutscher Kaiser“

Die Entstehung des „Deutschen Kaisers“ ist leider nicht bekannt. Wir wissen allerdings, dass er vor 1900 von Familie Botz erbaut und bewirtschaftet wurde. Abraham Stumpf kaufte den „Kaiser“ um 1902/03 und besaß ihn bis 1959. Herr Stumpf war Landwirt, bewirtschaftete die Gaststätte und hatte in den Räumlichkeiten eine kleine Sparkasse dabei. Denn er war zuvor in der Sparkasse Wiesloch tätig. Deshalb konnte man bei ihm kleine Summen aufs Sparkonto einzahlen. Die Leute aus den umliegenden Gemeinden, die von der Gemeinde Dilje aus dem Sandloch mit Fuhrwerken Sand geholt hatten, mussten die Fuhre bei Abraham Stumpf im „Kaiser“ bezahlen.

Im Hintergebäude der Wirtschaft war in den 1950er Jahren eine Zwiebackfabrik.

Ab ca 1954 pachtete Familie Wenz das Areal. Zur Straße hin, da wo das Nebenzimmer war, befand sich der Verkaufsraum für die eigene Metzgerei. Aus der Zwiebackfabrik wurde ein Schlachthaus.

Danach kaufte Abraham Steinmann den „Kaiser“ für seinen Sohn Werner, der Metzger war und Hobbyjäger. Vielleicht erinnert sich der ein oder andere noch an den großen Uhu, der im Hof stand. Mit Werner Steinmann kam der etwas gehobenere Standard in die Gaststätte. Es gab Menüs auf der Speisekarte und es gab Wild.

Gab es im „Kaiser“ auch einen Saal? Auch der „Deutsche Kaiser“ hatte im hinteren Teil des Hauses einen Saal mit einer Bühne. Auch hier fanden Theateraufführungen von Vereinen statt. Im Keller befand sich die „Kaiserbar“, die nur an Kerwe und Winterfeiern geöffnet war.

Übrigens war der „Kaiser“ vermutlich im 2.Weltkrieg geschlossen und danach sollen Flüchtlinge im Saal untergebracht worden sein. In den 60er / 70er Jahren wurde „Ratzebutz“ ausgeschenkt, ein scharfer Schnaps. Im „Kaiser“ war der Turnverein zuhause und dort fand im Saal auch der Schulturnunterricht statt.  Auch der „Deutsche Kaiser“ wurde dann an die Bergbrauerei Leimen unter Herrn Stumpe verkauft.

In neuerer Zeit bewirtschaftete Familie Straka das Wirtshaus und machte ein Speiselokal daraus. Außerdem hatten sie einen schön angelegten Biergarten. Der letzte Pächter war Pietro Iaciovello.

Der „Kaiser“ vermietete hinter dem Saal einen Anbau und entlang der damaligen Hauptstraße ein kleines Häuschen.

Die Gasthäuser erfüllten soziale Aspekte. Hier fand man für viele Fragen Rat und Anregung und Hilfe. Und, was ganz in Vergessenheit geraten ist, man konnte anschreiben lassen. Man konnte einen „Deckel“ machen. Der wurde in den meisten Fällen zuverlässig Tage später bezahlt. Beide Wirtschaften boten einfache gutbürgerliche Küche an.

Zu Kerwe war im „Adler“ und „Kaiser“ Live-Musik. Umso trauriger war es, dass diese beiden historischen Gebäude nicht erhalten wurden, obwohl beispielsweise der „Adler“ unter Denkmalschutz stand. Im Juli 2014 wurden beide Gaststätten zum Abriss freigegeben.

Damals verabschiedeten die Naturfreunde diese historischen Gebäude mit dem Slogan: „Im Adler und Kaiser waren wir daheim – jetzt gibt es unser Altersheim!„. Der Slogan bezog sich darauf, dass auf dem Areal ein Seniorenheim entstehen sollte.

Am 3.2.2014 schloss der „Deutsche Kaiser“. Friedrich Uthe von der Internetzeitung schrieb damals: „Mit dem Deutschen Kaiser verliert das Ortszentrum St. Ilgen einen wesentlichen Bezugspunkt und wichtigen Hort der Gastlichkeit, der besonders für größere Feierlichkeiten in dem zugehörigen Saal bekannt war und Spitzengastronomie bot.“

Zum Abschluss möchte ich noch eine Studie der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt aus dem Jahr 2013 zitieren, wo es heißt: „Wo die Wirtschaft stirbt, stirbt auch der Ort“.


Anekdote: Lui und der Adler-Wirt

In dem Buch von Ludwig Pfahler „Ja- so war es bei uns in Dilje“ fehlen natürlich nicht Geschichten aus den örtlichen Gasthäusern. Ludwig erzählt diese anschaulich und auch sehr ausgeschmückt, ich erzähle sie etwas verkürzt.

Der Lui wohnte als Witmann „im Adler owe drinn“. Nach seinem Feierabend und einem meist schnell eingenommen einfachen Abendbrot ging er jeden Abend die Treppe runter, um seinem geliebten Skat zu frönen. Er war ein leidenschaftlicher, sehr guter Spieler und eigentlich auch ein angenehmer Zecher. Bis… ja eines Tages der Wirt ein Glas Bier mehr in Rechnung stellte als der Lui zu trinken geglaubt hatte. Den heftige Wortwechsel daraufhin beendete der verärgerte Lui mit dem Satz: „Dei Lokal betret isch nicht mehr“. Im selben Augenblick bereute er schon den Satz, aber ein Mann, ein Wort!

Wochenlang ging er schweren Herzens nicht mehr nach dem Abendessen die Treppe runter. Dem Wirt tat es im geheimen genauso leid, er überlegte wie er den verlorenen Gast zurückgewinnen kann, ohne dass einer von beiden sein Gesicht verliert und entschloss sich zu einer List. Samstagnachmittag, die Wirtschaft war nass gewischt, Türen und Fenster waren zum Trocknen geöffnet, kam Lui von der Arbeit aus der gegenüberliegenden Zigarrenfabrik, wollte wie immer an der Wirtschaftstür vorbeigehen, da hörte er die lang vermissten Worte: „Trumpf un Trumpf un Trumpf un Trumpf“, dabei wurde krachend auf den Tisch geklopft. „Was mag do wohl aaner e Glück beim Spiel hawwe.“ Wie gerne wäre bei diesem Spiel dabei gewesen.

Nach einigem Zögern siegte die Neugier, er schaute vorsichtig durch die offene Tür und sah zu seinem Schrecken, kein Mensch im Lokal, nur der Wirt saß mutterseelenallein allein, er hatte das Skatspiel nur vorgetäuscht. Der Lui mit rotem Kopf wollte rückwärts aus dem Lokal, doch der Wirt rief: „Mann, bleib do un vergeß doch die ganz Gschicht.“ Naja, nach ein bisschen Zieren blieb der Lui, der Wirt hat ein paar Schoppen spendiert und beide waren froh. Der Adler-Wirt, weil er wieder seinen Gast hatte und der Lui, weil er endlich wieder Skat spielen konnte.


Anekdote: Deutscher Kaiser und die Kurzhaar-Kaninchen

Der Kaninchenzuchtverein wurde hier im Ort erst 1931 gegründet, aber Hasen gab es schon vorher in fast jedem Haus. Den Begriff Rassehasen kannte man noch nicht, so gab es eben große und kleinere Exemplare, helle, dunkle, gescheckte usw. Der Martin aus der Weberstrasse, ein Diljemer Schlitzohr, hatte sich von einem auswärtigen Bekannten zwei im Ort noch nicht bekannte Kurzhaarkaninchen gekauft.

Beim sonntäglichen Wirtshausbesuch im „Deutschen Kaiser“ brachte er am Biertisch geschickt das Thema auf die Hasenhaltung, er wollte aus dem Neukauf Kapitel schlagen in der festen Meinung, dass niemand von dem Kauf wusste. Und so verkündete er lauthals: „Isch hebb Haase mit de kertschte Hoa im ganzen Doaf“. Ein anderer Schlauberger vom Ort, der von dem heimlichen Kauf wusste, hielt dagegen: „Isch hebb Haase mit noch kerzere Hoa.“ Der Martin aber war sich seiner Sache so sicher, dass er sich zu einer Wette um 3 Flaschen Wein hinreißen ließ. Ein Schiedsgericht wurde gebildet, jeder sollte von zu Hause einen Hasen holen, dann sollte an Ort und Stelle festgestellt werden, welcher Hase die kürzeren Haare hat.

Alle warteten gespannt…. Als erster kam Martin zurück, in Siegerpose zeigte er den erstaunten Stammtischbrüdern seinen prachtvollen Kurzhaarhasen. Dann kam der andere Wetter, der in der Hauptstraße einen Tante Emma Laden betrieb. Er stellte seinen Karton auf den Tisch, das Komitee öffnete ihm. Zum Vorschein kam ein schöner, brauner, unbehaarter Schokoladenhase, er hatte beim letzten Osterfest keinen Käufer gefunden. Dem Martin half alles „dischbediere nix“, das Schiedsgericht entschied, dass er die Wette ganz klar verloren habe. Er hatte den Schaden und Spott obendrein.

Der lachende Dritte war der „Kaiser“-Wirt: 3 Flaschen Wein auf einen Schlag hatte er in seinem Leben noch nicht verkaufen können.

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