Frauenspaziergang 2022 mit offizieller Einweihung des Karoline-Röth-Platz in Dilje
(fwu – 10.3.22) Am Weltfrauentag findet bereits seit zehn Jahren in Leimen ein Frauenspaziergang statt (letztes Jahre fiel er wegen Corona allerdings aus). Am letzten Dienstag allerdings weniger spazierend als stationär vor der Alten Fabrik in Dilje. Hier wurde der Tag durch die offizielle Enthüllung des Namensschildes für den neuen Karoline-Röth-Platz begangen. Dies ist die Platzfläche zwischen der Alten Fabrik (Theodor-Heuss-Straße 39) und der Theodor-Heuss-Straße. Sie trug bisher den Namen Hugo-Mayer-Platz. Diese Platzfläche wurde durch Beschluss des Gemeinderates vom Dezember 2021 in Karoline-Roth-Platz umbenannt. Der Hugo-Mayer-Platz „wanderte“ indes auf den Vorplatz vor der alten Brauerei in Leimen-Zentrum.
Die kleine Zeremonie wurde im Beisein von ca. 30 Besuchern, darunter Oberbürgermeister Hans Reinwald, Gemeinderat Ralf Frühwirt (GALL) und Gemeinderätin Christa Hassenpflug (GALL), von Bürgermeisterin Claudia Felden eröffnet, die alle Anwesenden herzlich begrüßte. Besonders herzlich begrüßte sie die Urenkelin der Platz-Namensgeberin Elly Weisbrod, die zum Diljemer Urgestein gehört und auch als Ehrensenatorin bei den Fröschen aktiv ist.
Gemeinsam mit Oberbürgermeister Hans Reinwald und Bürgermeisterin Claudia Felden zog sie sodann die Bedeckung vom Platz-Namensschild und weihte in somit quasi ein.
Claudia Felden erläuterte den Hintergrund des Weltfrauentages und des von Christiane Mattheier vor 10 Jahren ins Leben gerufenen Frauenspazierganges. Sie ist allerdings zwischenzeitlich ins Bayrische verzogen, sodass Gemeinderätin Christa Hassenpflug die Aufgabe übernahm, den Hintergrund der Karoline Röth in ihre Zeit, und dem vorherrschenden Frauenbild von damals bis heute zu schildern (siehe unten).
Nach ihren Erläuterungen bestand bei zwar kaltem Temperaturen aber herrlichem Sonnenschein noch die Möglichkeit zu interessanten Gesprächen.
Von Christa Hassenpflug geschilderter Hintergrund der Namensgebung:
Karoline Röth betrieb den ersten Kindergarten in St. Ilgen. Geboren 1838 in Weiler, begann sie als dreifache Mutter und Witwe des Lehrers Peter Röth im Jahr 1871 mit der Betreuung von Kindern vom Windelalter bis zum Ende der Regelschulzeit. Der Kindergarten war damals in ihrem Elternhaus in der Weberstraße 17.
Später wurde sie Lehrerin der „Industrieschule“, die im Haus in der Weberstraße 18 eingerichtet wurde. Dort wurde sie die Leiterin. In Anerkennung ihrer treuen Dienste als „Kleinkindschulschwester“ bewilligte ihr der Gemeinderat 1911 ein Geldgeschenk von 40 Mark.
In welcher Zeit hat Karoline Röth als Erzieherin und Lehrerin gearbeitet?
Mir ist nicht bekannt, ob sie eine Ausbildung im Lehrerinnenseminar gemacht hat und wie sie dazu kam, als Kindergärtnerin und später als Industrieschullehrerin zu arbeiten.
Deshalb noch ein paar Worte zum Bildungswesen allgemein. Mitte des 19. Jh. gab es schon eine Schulpflicht, aber die Schulen waren auch in Leimen bis 1869 nach Konfessionen getrennt. Außerdem konnte der Staat (hier Großherzogtum Baden) die Schulpflicht oft nicht durchsetzen, da die Voraussetzungen fehlten.
Erst in der Weimarer Verfassung 1919 wurde die allgemeine Schulpflicht mit 8 Schuljahren für ganz Deutschland festgeschrieben. Bis dahin war es aber ein langer Kampf, speziell für die Ausbildung von Mädchen. Die höhere Bildung von Mädchen wurde im 19. Jh., insbesondere von Männern für unnötig befunden.
„Man lehre die Mädchen nicht soviel. Man nimmt ihnen, wenn man sie zu sehr bildet und unterrichtet, einen wahren Vorzug […] wie liebenswürdig ist ihre Unwissenheit […] wie viel tägliches Vergnügen raubt man dem Manne, wenn man Mädchen zu gelehrt macht.“
Dieses Zitat von einem Politiker aus dem Jahre 1871 ist vor allem deshalb bekannt, weil die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Hedwig Dohm ein Jahr später scharf dagegen hielt, indem sie erklärte: „Nur der Sklave ist um des Andern willen da. Und worin besteht nun das Vergnügen? Etwa im Gefühl der Überlegenheit? Zum Teufel mit dieser läppischen Eitelkeit!“
Wer war Hedwig Dohm?
Hedwig Dohm, geboren 1831, gestorben 1919 in Berlin, entstammte einer Familie mit 18 Kindern, von denen aber nur die Knaben ein Gymnasium besuchen durften. Die junge Hedwig musste im Alter von 15 Jahren die Schule verlassen und im Haushalt helfen – die Verärgerung über diese Benachteiligung als Mädchen war wohl eine wichtige Triebfeder für ihre spätere publizistische Arbeit. Immerhin durfte sie ein Lehrerinnenseminar (die es seit Anfang des 19. Jh. gab) besuchen, heiratete dann aber jung den leitenden Redakteur des Satireblattes Kladderadatsch mit dem sie 5 Kinder bekam.
In der ersten Hälfte der 1870er-Jahre erschienen die ersten vier feministischen Bücher von Hedwig Dohm, in denen sie die völlige rechtliche, soziale und ökonomische Gleichberechtigung von Frauen und Männern forderte. Auch das Stimmrecht für Frauen forderte sie bereits 1873. Immer wieder griff sie frontal und außerordentlich aggressiv all jene Männer an, die als Professor, Pfarrer, Mediziner glaubten, sie wüssten was Frauen könnten und, vor allem, was sie dürften und was man ihnen verbieten müsste. Sie war eine der ersten feministischen Theoretikerinnen, die geschlechtsspezifische Verhaltensweisen auf die kulturelle Prägung zurückführte statt auf biologische Determination.
Lehrerin zu werden, war für die Frauen aus bürgerlichen Schichten eine der wenigen Möglichkeiten, den eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Helene Lange, (Schule für Erzieherinnen in MA) 1848 geboren, war eine von ihnen. Sie legte 1872 ihr Examen in Berlin ab. Mit dem Examen, das etwa seit Mitte des 19. Jahrhunderts möglich war, konnte sie aber nur an Elementar- oder Privatschulen unterrichten.
Als Lehrerin am Lyzeum lernte sie die Mängel der Mädchenbildung in der Schule wie auch in der Lehrerinnenausbildung kennen. In den höheren Mädchenschulen wurden Mädchen nur bis zum 15./16. Lebensjahr unterrichtet.
Nur für die Jungen gab es auf dem Gymnasium Unterricht mit wissenschaftlichem Anspruch. Die Lehrer waren ausschließlich Männer. Seit ich Mitte der 1880er Jahre engagierte sich Helene Lange dafür, wissenschaftliche Lehrerinnen für die Oberklassen der höheren Mädchenschulen auszubilden, damit auch Frauen zum Abitur und damit zum Studium geführt werden konnten. Sie gründete dazu 1890 den Allgemeinen deutschen Lehrerinnenverein. 1908 gab es dann eine Reform des Mädchenschulwesens und kurz danach Oberlyzeen.
Schon damals riet eine Mathematiklehrerin 1914 zur Berufstätigkeit, mit den Worten „man solle nicht daheim sitzen und auf einen ‚Prinzen‘ warten“.
Lehrerinnen mussten allerdings damals unverheiratet sein und bleiben, um ihrem Beruf nachgehen zu dürfen. 1880 war im Deutschen Reich war das „Lehrerinnenzölibat“ per Ministerialerlass eingeführt worden. Eine Beamtin verlor bei Heirat den Beamtenstatus, machte die Stelle somit kündbar, gleichzeitig erlosch der Anspruch auf Ruhegehalt.
Es entsprach nicht der bürgerlichen Frauenrolle, ein Leben lang berufstätig zu sein. Der Lehrerinnenberuf diente lediglich der kurzfristigen Versorgung unverheirateter junger Frauen aus bürgerlichen Familien. Man traute ihnen eine Doppelbelastung durch Beruf und Familie nicht zu. Außerdem galten berufstätige Frauen als unnötige Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt.
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Lehrerinnenzölibat auf Antrag der SPD in der Weimarer Reichsverfassung abgeschafft: „Alle Ausnahmebestimmungen gegen weibliche Beamte werden beseitigt.“ Aber schon im Oktober 1923 wurde er aus arbeitsmarktpolitischen Gründen wieder eingeführt: Verheiratete Beamtinnen konnten entlassen werden, um in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Stellen für Männer zu sichern. Unverheiratete Lehrerinnen mussten eine „Ledigensteuer“ – einen zehnprozentigen Lohnsteueraufschlag– bezahlen. Da sie auch weniger verdienten als gleichrangige männliche Lehrer, konnte eine Heirat schon aus finanziellen Gründen als erstrebenswert erscheinen.
Als am 23. Mai 1949 das Grundgesetz verabschiedet wurde, war auch die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Artikel 3 verankert worden. In den deutschen Gesetzbüchern wimmelte es dennoch nur so von Paragraphen, die mit dem Gleichstellungsartikel grundsätzlich nicht zu vereinbaren waren. Laut der sogenannten Zölibatsklausel im Beamtengesetz mussten verheiratete Beamtinnen entlassen werden, wenn das Familieneinkommen auch ohne ihren Verdienst für die wirtschaftliche Versorgung ausreichte. Noch im selben Jahr verabschiedete der Deutsche Frauenring eine Protestnote gegen diese Klausel.
1951 wurde die Kündigung aufgrund von „Doppelverdienst“ per Verordnung abgeschafft. Im Dienstrecht des Landes Baden-Württemberg bestand trotzdem noch bis 1956 die Regelung, dass eine Lehrerin im Fall der Heirat ihre Stellung zu quittieren hatte. Darum gab es besonders an Grundschulen viele unverheiratete Lehrerinnen.
Erst 1957 erklärte das Bundesarbeitsgericht, dass Zölibatsklauseln in Arbeitsverträgen gegen das Grundgesetz verstießen und damit nichtig seien.
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