Leserbrief: Vernichtung kultureller Bausubstanz

(ck – 9.4.13) Leimen ist um eine Attraktion ärmer – Vernichtung kulturellen Erbes und touristischen Kapitals.

325 - Foto Rathausstr1 3Die Stadt Leimen hat vergangene Woche ein Denkmal, abgerissen, dessen weitgehend erhaltener Grundbestand von 1731 stammte. Das Haus hatte sie erst vor kurzem von der Familie Löscher erworben. Der Abriss erfolgte, obwohl der historische Wert dieses Anwesens, das zu den ältesten in Leimen erhaltenen gehörte, bekannt und dokumentiert ist. Die entsprechenden Unterlagen im Archiv der Stadt, Lageplan Nr. 158, wurden im Vorfeld der 1200 Jahr-Feier (1991) für eine Ausstellung zur Stadtgeschichte gesichtet und dort in ihrer Beziehung zu anderen historischen Bauten dargestellt. Die Unterlagen der Ausstellung gehören zum Bestand des Stadtmuseums; außerdem wurde von der Autorin seinerzeit für die Stadt eine Bestandsaufnahme sogenannter Modellhäuser in Leimen erstellt. Wert und Bedeutung des Baus waren also seit langem bekannt und so bleibt unverständlich, warum das historische Gebäude nicht einer Nutzung im Rahmen der Verlagerung von Verwaltungsbereichen in gemeindeeigene Räume zugeführt und zu einem Kleinod der Stadtverwaltung wurde. Nach dem Willen der Verantwortlichen musste es einem Neubau für die Stadtverwaltung weichen, wie es derer viele gibt und der darüber hinaus auch an anderer Stelle hätte errichtet werden können. Bei dem Versuch der Begehung am 02.Febr.2013 war in diesem Zusammenhang von angeblichen nutzungsrechtlichen Problemen zu hören, doch wurde historischer Baubestand auch anderenorts erfolgreich für öffentliche Bauten umgenutzt, d.h. es stünden etablierte Verwaltungswege und Genehmigungsverfahren offen, wenn der politische Wille hierzu bestände.

325 - Foto Rathausstr1 1Das Haus Löscher zeugte von der Aufbauarbeit nach den großflächigen Zerstörungen und dem vielfachen Sterben des Pfälzer Erbfolgekriegs (1688-1697). Für die Bebauung des Grundstücks wurde auf barocke Planvorlagen zurückgegriffen, wie sie für fürstliche Residenzstädte festgesetzt worden waren. Die Fürsten im Südwesten planten ihre Residenzen vielfach in Verbindung mit Bürgerstädten, deren Gestaltung sowohl im Hinblick auf die Straßenzüge als auch durch Haustypen unterschiedlicher Größe zur Reihenbebauung vorgegeben wurde, in dem Bemühen, den Wiederaufbau zu steuern. Die Ansiedlung von Neubürgern förderten sie dabei durch finanzielle Anreize, insbesondere Abgabenfreiheit. Derartige Modellhäuser in Leimen orientierten sich an den Vorgaben für den Wiederaufbau von Durlach, die ihrerseits M. Borrman zufolge Pläne aus Basel als Vorlagen verwendeten. In dem Ausstellungskatalog von 1990 „Planstädte der Neuzeit“ schreibt er, „die Zeichnungen, im Maßstab 1:144 verkleinert, [sollten] auf den Ämtern Durlach und Pforzheim ausliegen, wie auch ein eiserner Maßstab, damit sich die Handwerker dort die entsprechenden Maße einheitlich abnehmen konnten“ (S. 237). Dieser öffentlichen Zugänglichkeit ist es vermutlich zu danken, dass das Bauen nach Durlacher Standardvorgaben nicht auf die Stadt beschränkt blieb, sondern sich entlang der großen Überlandstraßen verbreitete. In vielen Dörfern und Marktflecken im Hauptzerstörungsgebiet des Pfälzer Erbfolgekrieges fanden sich anlässlich der Begehung durch U. Kothe 1990 Beispiele dafür, dass diese überwiegend entlang der Hauptstraßen entstanden. Dies könnte darauf hinweisen, dass auch außerhalb der Planstädte die Festlegung der Straßentrasse durch die Obrigkeit erfolgte. Andererseits waren die Bauten wohl auch Ausdruck besonderen Wohlstands oder wiesen – wie in den Residenzstädten – auf die mit Privilegien versehene Ansiedlung von Neubürgern hin. Auch in Leimen entstand Die Bebauung entlang der damaligen Hauptstraße eine ganze Reihe von Bauten auf der Grundlage der Durlacher Modellhäuser.

325 - Foto Rathausstr1 2In Leimen war das gerade zerstörte Haus zur Straße ein Beispiel für diese Praxis. Seine Lage in dem mit einer Ringmauer geschützten und in seiner Bedeutung hervorgehobenen Ortes ist aufschlussreich. Das eine Tagesreise von Heidelberg entfernte Leimen stellte Reisenden eine Vielzahl von Bewirtungsmöglichkeiten zur Verfügung, denn es lag an der bedeutenden Nord-Süd-Verbindung, die seit Römerzeiten am Rand des Rheingrabens entlangführte. Anlässlich einer Anhörung im Jahr 1840 war die Antwort auf die Frage, ob die Gemeinde stark besucht werde: „ziemlich stark, weil der hiesige Ort respect. Marktflecken an der Bergstraße welche mitten durch denselben zieht und sich mit dieser Straße die sogenannte Juden-Chaussée von Mannheim hier vereinigt und ferner, weil hier eine Tabakfabrik besteht“ (KNr. 93 Oz 670, Stadtarchiv Leimen). Diese Überlandstraße führte in den Ort durch ein Tor in der Ringmauer neben dem Hotel und Gasthof Bären, der bereits damals als renommierte Schildwirtschaft sowie als Poststation zum Pferdewechsel diente. Im Zuge der Nusslocher Straße verließ der Reisende Leimen durch ein weiteres Tor neben dem ebenfalls eine Schankwirtschaft, die Krone, heute Rose, stand.

Im Zentrum der Ortsdurchfahrt befand sich das alte Rathaus, das den Erbfolgekrieg überstanden hatte, bis es 1927 zugunsten des Parkplatzes gegenüber dem nun zerstörten Haus abgerissen wurde. Nicht nur diese Lage verweist auf die Bedeutung des Anwesens Rathausstraße 3. Das Wohnhaus an der Straße war zwar nur einstöckig ausgeführt, doch das lag wohl daran, dass es weder der Bewirtung noch der Beherbergung diente. Der Torbogen mit dem Zugang zum Hof und den Wirtschaftsgebäuden wies jedoch einen so genannten Schlussstein mit einer Art Wappen und der Jahreszahl 1731 auf, auch dies ein Hinweis auf die Bedeutung des Bauherrn. Das Tor erschloss ein Hofgrundstück, mit zwei kleinen Wohnhäusern rechts und links der Durchfahrt. Baupläne im Besitz der Stadt aus dem Jahr 1956 lassen vermuten, dass beide neben 2 Zimmern im Erdgeschoss im Dachgeschoss Schlafräume aufwiesen. Wesentliche Teile beider Haushälften wurden in Buntsandstein ausgeführt: die westliche Giebelmauer, wie im Bereich des Dachgiebels zu sehen war, und der Sockel. Die Mauer zur Straße wurde zur besseren Brandsicherung in Backstein aufgeführt, alle weiteren in Fachwerk, das mit Backstein ausgemauert wurde. Der gemeinsame Dachstuhl über Wohnungen und Tordurchfahrt wurde Ende der 1950er Jahre abgetragen und das Gebäude um ein weiteres Stockwerk aus Bimsstein aufgestockt. Dabei wurde der sandsteingefasste Torbogen entfernt, um die Durchfahrt für moderne Landmaschinen zu erleichtern. Die übliche Gründung des Bogens, die Fuhrwerke auf Abstand zur Mauer hielt, blieb bis zum Abriss des Hauses erhalten. Der Schlussstein mit der Jahreszahl 1731 wurde über dem neuen Tor in die Mauer eingelassen. Im Innern lagen um den Hof u-förmig Wirtschaftsgebäude des 18. Und 19. Jahrhunderts. Sie waren im hinteren Bereich talseitig aus Sandstein; ein kleineres Haus aus Fachwerk davor wies sogenannten Lehmschlag auf.

In der Vorbereitungsphase der Ausstellung hat Ursula Kothe 1990 u.a. das Haus Löscher betreffende Dokumente gesichtet und die überlieferten Daten zusammengestellt. Im Hof zierten am talseitigen Kellerabgang Die Initialen MS und die Jahreszahl 1790 den Schlussstein des Bogens und verweisen vermutlich auf Martin Simon als Eigentümer dieser Hälfte des Hauses und des Hofes. Josef und Martin, zwei Brüder der Familie verkaufen den Besitz 1825 an Martin Waldbauer. 1840 erwirbt Jacob Kegel diese von Joh. Jac. Helwerth und Ehefrau Margaretha geb. Waldbauer und sie verbleiben mindestens bis 1892 im Besitz der Familie Kegel. Zur bergseitigen Hälfte von Haus und Hof ist nur bekannt, dass sie Georg Kistenmacher 1820 erwarb. Die Lage des Hauses gegenüber dem Rathaus im Zentrum des Ortes lässt vermuten, dass die genannten Besitzer eher zu den wohlhabendem Gemeindegliedern zählten. In unmittelbarer Nähe lagen die Schildwirtschaft Weißes Rössel und der Rote Ochsen in der an das Haus Löser anschließenden Tabakfabrik als weitere Standorte zur Versorgung von Reisenden und um 1794 ließ die in Leimen ansässige jüdische Familie Seligmann, die u.a. das kurpfälzische Salzmonopol (1789) besaß, in der Nachbarschaft ein Palais bauen, das 1841 von der Ortsverwaltung gekauft wurde und seither als Rathaus diente.

Ein bedeutender und nicht zu ersetzender Teil der historischen Bebauung wurde zerstört, statt ihn zusammen mit anderen Bauten ins Zentrum aktueller Stadtplanung zu stellen, gehörte das Haus Löscher doch zusammen mit den Fachwerkhäusern, der Erhard’schen Tabakfabrik, dem Anwesen mit dem Gasthaus Rössle, dem Rathaus und der Mauritiuskirche zum Restbestand des historischen Ortskerns. Während andernorts historische Bausubstanz mit Erfolg neuer Nutzung zugeführt wird und zum wohnlichen, angenehmen Ambiente beiträgt, hat Leimen einen weiteren Schritt unternommen gegenüber seinen Nachbarn Nußloch und Wiesloch, deren Zentren im vergangenen Jahrzehnt stetig aufgewertet wurden, weiter ins Hintertreffen zu geraten. Die Stadt wäre in der Tat gut beraten die seit Jahren bestehenden Baulücken im Zentrum endlich zu schließen, statt neue zu aufzureißen. Leider hat die Stadt in dieser Zeit mehrfach gezeigt, dass sie historisches Wissen und das die Geschichte belegende Material nicht Wert schätzt. Dies hat die Vernichtung eines großen Teils der katalogisierten Magazinbestände des Stadtmuseums gezeigt, zu denen offenbar auch Material der Ausstellung 1991 gehörte, dem die Verantwortlichen die Dokumentation der historischen Zusammenhänge des Hauses Löschers hätten entnehmen können. Dazu zählt auch die oben genannte Bestandsaufnahme der Modellhäuser. Statt die historische Bausubstanz zu nutzen um der Stadt ein Gesicht zu geben, zieht man es in Leimen vor sie mit jedem Tag gesichtsloser und unattraktiver werden zu lassen. Dieser Umgang mit der Substanz ist umso unverständlicher als die Stadt gut beraten wäre angesichts knapper Kassen über die Nähe zu dem touristischen Zentrum Heidelberg und dem Wirtschaftsstandort Walldorf alternative Einnahmequellen zu erschließen. Dies gelänge unter anderem durch die Wertschätzung historischer Bauten und das Bemühen sie aktiv in die moderne Bauleitplanung einbeziehen um der Stadt ein Gesicht zu geben und sie lebenswert zu machen.

Christine Kothe

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1 Kommentar für “Leserbrief: Vernichtung kultureller Bausubstanz”

  1. I_Schmidt

    Vielen Dank für diesen umfangreichen Leserbrief. Er enthält wertvolle Informationen die wohl sehr sorgsam zusammengetragen wurden. Eine aufschlussreiche Reise durch die Vergangenheit wird so möglich. Was dort geschrieben steht ist vielen von uns sicher so nicht bekannt.

Kommentare sind geschlossen

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