Neues zum gebürtigen Sandhäuser Dr. Ludwig Marx – Auszüge eines unglaublichen Lebens
(von Wilfried Hager) Wem ist heute Dr. Ludwig Marx noch ein Begriff? Vermutlich nicht mehr allzu vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Daher möchte ich an dieser Stelle an ihn erinnern:
Ludwig Marx wurde am 2. August 1891 als Sohn des Zigarrenfabrikanten Lehmann Marx und dessen Frau Mina Marx, geborene Oppenheimer, in Sandhausen geboren. Sein Vater verstarb bereits ein Jahr später an einer Blutvergiftung.
Mit drei Kindern (Ludwig und zwei Schwestern) verzog Frau Marx nach Heidelberg. Nach dem Besuch der Volksschule und dem humanistischen Gymnasium in Heidelberg, das er als Primus abschloss, begann er 1910 sein Studium der Neuphilologie an der Universität Heidelberg. Für kurze Zeit wechselte er an die Sorbonne in Paris, wo er dann auch promovierte. Entgegen der Anregung seiner Lehrer, ihn zum Altphilologen zu machen, entschied er sich für die Sprachen Englisch und Französisch. – Nichts ahnend, dass ihm diese Ausbildung in seinem späteren Leben noch wertvolle Dienste leisten sollte.
Nach einem kurzen Studienaufenthalt in Paris promovierte er 1915 mit einem glänzenden Staatsexamen.
Nachdem er den ersten Weltkrieg als Soldat im kaiserlichen Heer erlebt hatte, erhielt er seine erste Stellung als Lehrer am Realgymnasium in Mannheim. Hier hatte er es offensichtlich nicht leicht, da er -selbst noch jung – es mit aufmüpfigen Schülern der oberen Stufen zu tun hatte.
Nach relativ kurzer Zeit wechselte er an die Realschule in Tauberbischofsheim. Hierzu schrieb Marx in seinen Erinnerungen:
„Ich muss meinem Schicksal dankbar sein, dass es mich für einige Jahre in die herrliche Einsamkeit des Taubertales verschlagen hat. Ich fand dort drei Dinge, die entscheidend waren für mein Leben: Meine Liebe zu meinem Beruf; meine Liebe zu Goethe und erneut meine Liebe zur Natur. Die Schulstube verlor ihr „Mannheimer Grauen“, ich wurde wieder ein froher Mensch“.
Tauberbischofsheim war in den 1920er Jahren eine kleine Stadt mit rund 4.000 Einwohnern und ein gewaltiger Unterschied zur Großstadt Mannheim.
Nach 2 Jahren Lehrertätigkeit in Tauberbischofsheim wurde er nach St. Georgen an die Bürgerschule versetzt, der er als Vorsitzender vorstand. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurde er als „Nicht-Arier“ durch das „Gesetz der Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von heute auf morgen entlassen. Es folgte der Umzug nach Karlsruhe. Dort fand er eine Anstellung als Lehrer an der neu gegründeten jüdischen Schule. Daneben gab er Goethe-Vorlesungen und Sprachkurse am jüdischen Lehrhaus.
Die Ereignisse um die Reichskristallnacht waren eine schwere Prüfung. Er wurde inhaftiert und 1938 in das KZ Dachau gebracht. Ihren damals 12-jährigen Sohn Robert hatten die Eheleute Ludwig und Regina Marx ein Jahr zuvor nach England geschickt, was ihnen sehr großen Schmerz bereitete. Robert besuchte in der Nähe von Bristol, eine Internatsschule. Um sich vor Anfeindungen zu schützen, nahm er den Namen seiner Mutter an und hieß fortan Robert Miller.
Mit Hilfe von Bekannten, Behörden und Sohn Robert, der in England die Situation seiner Eltern schilderte, gelang es den Eheleuten Marx sich ein Visum für die Ausreise nach England zu beschaffen. Am 23. März 1939 konnten schließlich die Eheleute Marx Deutschland verlassen. In seinen Erinnerungen schreibt Ludwig Marx: „Als ich die weißen Kreidefelsen erblickte, wusste ich, dass dieses Land der Freiheit uns vor dem Sturm beschützen würde.“
Dort angekommen wurden die Eheleute zunächst als „Feindliche Ausländer“ eingestuft und für ein halbes Jahr in ein Internierungslager eingewiesen. Nach ihrer Entlassung erhielt Ludwig Marx eine Stelle als Lehrer am selben Internat, in dem sein Sohn lebte.
Nach Kriegsende unterrichtete er ein Jahr lang an der Westminster-public-school, einer Privatschule, deren Räumlichkeiten aus Elisabethanischer Zeit stammten und sich direkt neben der Westminster Abbey befanden. Hier konnte er die Schüler bis zur Universitätsreife in Französisch und Deutsch unterrichten. Eine besondere Freude war es für ihn mit den sogenannten „Kings scholars“ (den Königsschülern) zu arbeiten, die ihre Befähigung durch ein recht schwieriges Examen beweisen mussten.
Da seine Stelle nach Rückkehr der früheren Lehrer wieder mit dem früheren Master besetzt wurde, bewarb sich Marx daraufhin um eine ausgeschriebene Stelle als deutscher Lektor an der Universität Cambridge. Die neue Stelle war zwar nur auf einige Semester befristet, aber sie bot den Vorteil, dass er die herrliche Universitätsbibliothek benutzen und viele seiner Studien fortsetzen konnte.
Nach seiner Rückkehr nach London konnte er an einer Realschule unterrichten und fand überdies noch Zeit, Abendkurse am Londoner Polytechnikum für Erwachsene in Französisch und Deutsch zu geben. Für Ludwig Marx war dies eine erfreuliche Arbeit, kam er doch mit allen Berufskreisen in Kontakt und konnte manch wertvolle Beziehung knüpfen. Anlässlich des 200. Geburtstages des Dichters Goethe hielt er dort 1949 einen Vortrag.
Für die Zeitschrift „The Goethe year“, die er zusammen mit einer Reihe von Emigranten, Goethefreunden und englischen Gelehrten herausgab, schrieb Ludwig Marx viele Beiträge für diese Zeitschrift. Dies war ein würdiger Abschluss seiner Tätigkeit in England.
Robert Marx, der 1947 die britische Staatsangehörigkeit angenommen hatte, blieb in England und arbeitete als Optiker.
Im Jahre 1952 bewegte ihn der damalige Bürgermeister von St. Georgen zur Rückkehr. Diesem Ruf folgend zog er nach St. Georgen, wo er ungetrübte Jahre verbracht hatte und von zahlreichen ehemaligen Schülern und Freunden freudig begrüßt wurde. Ludwig Marx arbeitete an dem von ihm erneut gegründeten Volksbildungswerk, das er auch einige Jahre leitete.
Eine Bewerbung am Gymnasium in Villingen wurde abgewiesen. Zitat aus der Ablehnung: „Man kann doch nicht den Sohn eines Kreisleiters von einem Juden unterrichten lassen“.
Fortan widmete er sich dann dem kulturellen Leben in St. Georgen und vor allem den Rundfunkvorträgen im damaligen Südwestfunk. In diesen Vorträgen wurden die Werke deutscher und englischer Dichter und Schriftsteller von Schiller bis Shakespeare besprochen. Aber auch Beiträge über den Geist der hebräischen Poesie wurden gesendet.
In seinen Erinnerungen befindet sich folgende Begebenheit, die den Bogen über eine schlechte Zeit spannt:
„Ein Vorfall zeigte mir, dass meine Vorträge und meine Tätigkeit auch in Arbeiterkreisen ein Echo gefunden hatte. Kurz vor meinem Weggang von St. Georgen fand ich morgens auf meinem Tisch in der Schule eine Liebhaber-Ausgabe von Goethes „West-östlicher Divan“ mit folgender Widmung: Von einem Arbeiter, der Ihnen viel zu verdanken hat.
Ich habe nie herausgefunden, wer der freundliche Spender dieser Gabe war. 30 Jahre später, nach meiner Rückkehr nach St. Georgen, musste ich im Winter 1955 einige Tage im Krankenhaus verbringen. Im gleichen Zimmer lag ein Bewohner von St. Georgen. Wir sprachen viel von früheren Zeiten und ich erwähnte auch die Geschichte vom „West-Östlichen Divan“. Ich konnte nie ausfindig machen, wer der Arbeiter war, sagte ich ihm, worauf er antwortete: Der Arbeiter war ich.
Ich bin froh, dass ich diesem gütigen Menschen noch die Hand drücken konnte, denn er ist einige Wochen später verstorben.“
Das ganze Leben dieses begnadeten Lehrers war erfüllt von den hohen Idealen der Klassik und von der behutsamen Hinführung des Menschen zu einer gelebten Menschlichkeit. Dieses Anliegen stand auch im Mittelpunkt seiner letzten Sendung über den Humanitätsgedanken bei Herder.
Trotz seines harten Lebens hatte er sich seine Fröhlichkeit bewahrt. Er war noch voller Pläne, als er am 10. Dezember 1964 im Alter von 73 Jahren verstarb. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem jüdischen Friedhof in Karlsruhe. Ehefrau Regina verstarb 1979 und liegt gleichfalls auf dem jüdischen Friedhof in Karlsruhe begraben.
Nachstehend möchte ich Ihnen noch zwei Gedichte von Ludwig Marx vorstellen.
Frühling 1933
Da es noch Dinge der Schönheit gibt,
Bücher und Blumen, Musik die man liebt,
dass die Sonne noch leuchtet und Wolken noch ziehn,
dass Amseln noch schlagen und Bäume noch blühn,
dass über dem Ganzen ein göttlicher Geist
unwandelbar ewige Güte verheißt –
inmitten von Menschen, die blindwütend hassen
zermarterte Seele, wie kannst du es fassen?
Der Jude
Und wieder gellt es drohend von den Mauern
und wieder steht das dunkle Wort zu lesen:
„Der Jude, ja der Jude ist’s gewesen“ –
Und wieder eint uns tiefes, bittres Trauern.
Ach, habt ihr wieder, wie so oft, vergessen
wer aus der Gottheit Händen einst empfangen
was ewig leuchtend durch die Welt gegangen,
ist’s nicht eine Jude, Mose, einst gewesen?
Ihr sagt der alte Geist sei längst verkommen,
weil ihr nur Lautes hört in lautem Hassen;
Wollt ihr die jüd’sche Seele einmal fassen,
geht zu den stillen, zu den wahrhaft Frommen:
Was jüdisch sei, was ewig, sollt ihr hören:
Sich tief ein inner Heiligtum erbauen
und dort in gläubig reinem, reichen schauen
Im menschlich-höchsten Göttliches verehren
(Quelle: Gemeinde Sandhausen)
Anmerkungen: An dieser Stelle gilt man herzlicher Dank der Stadtverwaltung St. Georgen, die mich mit Fakten aus dem Leben von Ludwig Marx versorgte, die bislang noch nicht bekannt waren.
Aufgrund der aktuellen Entwicklung der Corona-Pandemie müssen die erforderlichen Recherchen im Rathaus für meinen 3. Artikel über Walter Reinhard derzeit unterbleiben und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt.
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