Vollstreckung von Bußgeldern aus EU-Staaten
Von Rechtsanwalt Rudolf Woesch, Leimen.
Einleitung.
Am 28.10.2010 wurden die Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses vom 24.02.2005 zur EU-weiten gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen in das Deutsche Recht umgesetzt.
Der Deutsche Gesetzgeber ist hierbei (auch auf Initiative des ADAC) im Rahmen der Umsetzung in einigen Punkten über die EU-Vorgaben hinaus gegangen, um wesentliche Grundsätze des Deutschen Rechts (zum Beispiel bei der Halterhaftung) Rechnung zu tragen.
Nach derzeitigem Stand (März 2016) haben bis auf Griechenland und Italien alle EU-Mitgliedstaaten den Rahmenbeschluss umgesetzt. In Italien läuft derzeit das Umsetzungsverfahren.
Nachfolgend die wichtigsten Fragen der EU-weiten Bußgeldvollstreckung:
1. Was wird vollstreckt?
Vollstreckt werden von Gerichten und Verwaltungsbehörden in anderen EU-Staaten rechts-kräftig verhängte, strafrechtlich überprüfbare Geldsanktionen. Der Begriff Geldsanktion umfasst neben Geldbußen und Geldstrafen auch Verfahrenskosten.
2. Welche Behörde ist in Deutschland für die Vollstreckung zuständig?
Zuständige Behörde für die Prüfung und die Durchführung der Vollstreckung ist das Bundesamt für Justiz in Bonn.
3. Aus welchen Ländern wird vollstreckt?
In Deutschland werden Geldsanktionen aus allen EU-Ländern vollstreckt, die ebenfalls den Rahmenbeschluss umgesetzt haben.
4. Können auch Bußgelder aus Nicht-EU-Ländern vollstreckt werden?
Nein. Bußgelder aus Nicht-EU-Ländern wie zum Beispiel Norwegen, Lichtenstein oder Schweiz sind vom Rahmenbeschluss nicht umfasst.
5. Seit wann sind die Vollstreckungsvorschriften in Kraft getreten?
Das Umsetzungsgesetz zum EU-Rahmenbeschluss ist am 28.10.2010 bei uns in Kraft getreten.
6. Ab welchem Betrag sind Bußgelder vollstreckbar? Sind hierbei Verfahrens- und Mahnkosten zu berücksichtigen?
Es werden Geldsanktionen ab einem Betrag von mindestens 70,00 Euro unter anderem aus Straßenverkehrsverstößen und Verstößen gegen Lenk- und Ruhezeiten vollstreckt.
Der Begriff der Geldsanktion umfasst sowohl das Bußgeld als auch die Verfahrenskosten, so dass der zu vollstreckende Betrag inklusive etwaiger Verfahrenskosten zu verstehen ist. Die Bagatellgrenze ist also zum Beispiel auch dann erreicht, wenn die Geldbuße 50,00 Euro und die Verfahrenskosten 25,00 Euro, zusammen also 75,00 Euro betragen.
7. Kann das Bundesministerium f. Justiz das Vollstreckungsersuchen des auswärtigen EU-Staates ablehnen?
Ja, dies ist möglich, wenn
- der Mindestbetrag von 70,00 Euro nicht erreicht wird
- wenn der Betroffene in einem schriftlichen Verfahren nicht über seine Rechte belehrt wurde, was bereits dann der Fall ist, wenn das Verfahren im Ausland in einer für den Betroffenen nicht verständlichen Sprache durchgeführt wurde
- wenn ein deutscher Kfz-Halter zuvor im Ausland erfolglos Einspruch mit der Begründung eingelegt hat, nicht selbst der Fahrer gewesen zu sein (zum Beispiel weil im betreffenden Land die Halterhaftung besteht, zum Beispiel in Frankreich, Italien oder den Niederlanden).
8. Kann sich der Betroffene auch im Vollstreckungsverfahren gegen den ursprünglichen Tatvorwurf der ausländischen Behörde wehren?
Nein. Einwände gegen den Tatvorwurf und die Ahndung können ausschließlich im sogenannten „Erkenntnisverfahren“ des Tatortlandes im Rahmen des dort vorgesehenen Rechtsweges vorgebracht werden. Rechtsbehelffristen müssen eingehalten werden.
Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens durch das Bundesministerium d. Justiz wird die materielle Rechtskraft der der Vollstreckung zu Grunde liegenden Ahndung nicht mehr geprüft.
Wenn der Einwand des Betroffenen nach ausländischem Recht aussichtslos ist (zum Beispiel als Halter nicht der verantwortliche Fahrzeugführer zum Tatzeitpunkt gewesen zu sein in den Ländern mit Halterhaftung wie beispielsweise den Niederlanden) ist es nicht erforderlich, dass der Betroffene diesen Einwand bereits im Erkenntnisverfahren erhoben hat. In diesem Fall ist ausreichend, den Einwand gegenüber der Bewilligungsbehörde, also dem Bundesamt für Justiz, geltend zu machen.
9. Wurde der mit Österreich bestehende Vollstreckungshilfevertrag mit Umsetzung des Rahmenbeschluss hinfällig?
Der deutsch-österreichische Amts- und Rechthilfevertrag in Verwaltungssachen von 1990 bleibt weiterhin bestehen. Er bezieht sich ausschließlich auf verwaltungsbehördliche Entscheidungen. Nach wie vor können daher österreichische Behörden bereits ab einem Mindestbetrag von 25,00 Euro in Deutschland vollstrecken.
Allerdings (hochaktuell!):
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht hat in einem Urteil vom 18.03.2010 entschieden, dass die Verurteilung eines Kfz-Halters in Österreich wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung unter bestimmten Voraussetzungen gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstößt, nämlich insbesondere dann, wenn sie ausschließlich darauf gestützt wird, dass der Fahrzeughalter die Identität des Fahrers zum Tatzeitpunkt nicht bekannt geben konnte und darüber hinaus im Verfahren nicht persönlich angehört wurde.
10. Umfasst die Vollstreckung auch andere Sanktionen wie Führerscheinmaßnahmen?
Nein. Die Vollstreckung umfasst nur Geldsanktionen. Im Ausland verhängte Führerscheinmaßnahmen gelten grundsätzlich nur im Tatortland.
11. Gibt es für Verkehrsverstöße im Ausland auch Punkte in Flensburg?
Nein. Es werden nur Punkte für in Deutschland begangene Verkehrsverstöße ins Flensburger Verkehrszentralregister eingetragen.
12. Was droht bei Wiedereinreise ins Tatortland, wenn in Deutschland – aus welchem Grund auch immer – nicht vollstreckt wird?
Im Tatortland bleiben rechtskräftige Bußgeldbescheide und Gerichtsentscheidungen weiterhin vollstreckbar. Hier gibt es je nach Land unterschiedliche Verjährungsfristen (zum Beispiel Spanien vier Jahre; Italien fünf Jahre). Zu einer Vollstreckung kann es dann innerhalb dieser Verjährungsfristen zum Beispiel im Rahmen einer Verkehrskontrolle in dem betreffenden Land kommen.
13. Können auch (deutsche oder ausländische) Inkassobüros künftig ausländische Bußgeldforderungen in Deutschland vollstrecken?
Nein. Die Vollstreckung obliegt in Deutschland ausschließlich dem Bundesamt für Justiz.
Rudolf Woesch, Rechtsanwalt, Rohrbacher Str.6 (Georgimarktplatz), 69181 Leimen, Tel.: 06224/97370 Fax: 06224/973751
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