1517: Das Schreckgespenst des Bundschuhs – Der geplante Bauernaufstand unter Joß Fritz

Thomas Adam

September 1517: Ein Gespenst geht um am Oberrhein – das Gespenst einer Bauernverschwörung unter dem aufständischen Zeichen des Bundschuhs. Ein Gespenst im eigentlichen Sinn des Wortes, denn wirklich greifbar wird das, was die Beamten und Ratsschreiber fast überall zwischen Neckar und Schweizer Grenze in Unruhe versetzt, nur in höchst schemenhaften Umrissen. Aber allein schon diese Umrisse bargen für die Obrigkeiten – in unliebsamer Erinnerung an frühere, ähnliche Aufstandsversuche – jede Menge sozialrevolutionären Sprengstoff und schienen eine eklatante Bedrohung der politischen Machtverhältnisse jener Zeit darzustellen.

Der Revolutionär und sein Symbol: Die Replik eines historischen Bundschuhs, im Hintergrund die vermutlich einzige zeitgenössische Bilddarstellung des Bauernführers Joß Fritz aus dem Jahre 1513. (Foto: Thomas Adam)

Die Fakten: Anfang September setzt der markgräfliche Vogt Jakob Nagel auf seiner Burg Rötteln in Südbaden zwei Männer gefangen, einer davon Michel von Dinkelsbühl mit Namen, ein Landstreicher und den eigenen Aussagen nach Mitverschwörer im Bundschuh. Im anschließenden Verhör gibt Michel die Namen von mehreren Hundert weiteren Eingeweihten preis, teilweise mit genauer Personenbeschreibung. Und er benennt den Anführer des geplanten Bundschuhaufstandes, der – wie Michel andeutet – im Moment noch im Verborgenen vorbereitet werde, aber schon zum Losschlagen bereit sei. An der Spitze stehe ein Mann namens Joß Fritz. Und spätestens bei diesem Namen schrillen in allen Ratsstuben die Alarmglocken.

Denn Joß Fritz war alles andere als ein Unbekannter. Bereits 1502 hatte er vergebens eine ähnliche Revolte am Oberrhein im Hochstift Speyer unternommen, konnte jedoch fliehen. Den nächsten Anlauf unternahm er 1513 bei Freiburg. Wieder scheiterte die Verschwörung kurz vor dem offenen Ausbruch des geplanten Aufstandes. Zusammen mit anderen entkam Joß Fritz in die Schweiz, blieb aber auch dort der Strafverfolgung ausgesetzt. Jetzt also trieb ihn sein revolutionärer Eifer wieder um, „diesen erlosen anzettler und houptman in diser morderischen rott“, wie die Freiburger Behörden ihn am 9. September 1517 titulierten. Am ganzen Oberrhein war er aktiv – so schien es –, denn die Aussagen Michels von Dinkelsbühl ließen eine sehr weit verzweigte Organisation des Bundschuhaufstandes befürchten. Zwischen den Tälern des Südschwarzwaldes und Weißenburg am Rande der Nordvogesen, zwischen Zabern im Westen und dem kurpfälzischen Bretten im Nordosten saßen, so gab er zu Protokoll, die Mitverschwörer.

Besonders stark konzentrierten sie sich im Mittelelsass in der Umgebung von Straßburg. Und nur auf das Zeichen warteten sie, um in durchaus radikaler Manier loszuschlagen; durch Brandstiftungen und offenen Aufruhr sollte der unterdrückte, über Gebühr mit Steuern und Abgaben belastete „gemeine Mann“ am Oberrhein für die Idee von Freiheit und Gerechtigkeit begeistert werden.

Die Behörden reagierten rasch, verhafteten angebliche Mitwisser, es kam zu Kerkerstrafen und Hinrichtungen. Wie bei früheren Aufstandsversuchen mögen wieder einige das Abhacken ihrer Schwurfinger erlitten haben, die Landesverweisung vielleicht, schließlich auch einen schmerzhaften Aderlass am Geldvermögen. Michel von Dinkelsbühl, auf dessen Aussagen nahezu alle Information über den Bundschuh von 1517 basiert, wird selbst der Todesstrafe kaum entgangen sein. Joß Fritz hingegen, der „Hauptmann“, blieb unauffindbar, auch diesmal ein ungreifbares Phantom wie eh und je.

Zum offenen Ausbruch kam diese Verschwörung also nie, und heute, 500 Jahre später, stellen Historiker sogar die Frage, ob es diesen vermeintlich dritten Bundschuh unter Joß Fritz denn überhaupt je in der Realität gegeben habe. Oder ist er womöglich nicht mehr gewesen als ein überwiegend selbstgemachtes Schreckgespenst der Behörden – gegründet auf Gerüchte, auf Falschaussagen angeblicher Mitwisser – und letztlich auch eine Form von übler Nachrede gegen Joß Fritz? Aber selbst wenn dem so war, wenn es 1517 nur die Behörden selbst gewesen sind, die sich mit immer neuen Gerüchten gegenseitig in Panik ob dieses angeblichen neuen Bundschuhs im Lande versetzten: Schmälert dies dann die Bedeutung von Joß Fritz, den die Amtleute schon aufgrund bloßer Gerüchte überall am Werke sahen? Im Gegenteil. Wenn allein sein Name reflexartig die Gegenwehr der Behörden mobilisierte und nachgerade Hysterie auslöste, dann hüllt ihn dies doch umso mehr in die Aura des Legendären, macht schon 1517 jenen Mythos zu Lebzeiten aus ihm, der er dann endgültig am Vorabend des Bauernkrieges von 1524/25 gewesen ist.

Denn gefasst wurde dieser umtriebige Aufrührer tatsächlich nie, in Erinnerung geblieben ist er als Pionier für die Sache der „Freyheit“, eine der zentralen Gestalten im Kampf der Bauern mit dem Ziel, „der Gerechtigkeit Beistand zu tun“, wie es in einem zeitgenössischen Dokument heißt. Noch zu Beginn des großen Bauernkrieges soll er am Hochrhein als alter Mann mit weißem Bart gesehen worden sein und verkündet haben, er könne nicht sterben, ehe nicht der Bundschuh seinen Fortgang genommen habe. Aus dem überzeugten Revolutionär wurde ein Mythos, dem später zahlreiche Romane gewidmet wurden und über den der Liedermachen Franz Josef Degenhard die „Ballade von der revolutionären Geduld und Zähigkeit“ schrieb. Vor allem aber sind es diese beiden von den Bauernrebellen vielfach verwendeten Begriffe „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“, die unter den politischen Forderungen des Bundschuhs als Leitmotive nachwirken bis in die heutige Zeit.

Thomas Adam


Zum Weiterlesen:

Thomas Adam: Joß Fritz – das verborgene Feuer der Revolution. 3., aktualisierte, umfassend überarbeitete und ergänzte Auflage. 320 Seiten mit 173 z.T. farbigen Abbildungen, fester Einband, ISBN 978-3-89735-777-8, Preis: 24,80 Euro.


 

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