Gedanken zum Erntedankfest – von Pfarrer Steffen Groß

1369 - Pfarrer GrossLiebe Leserin , lieber Leser, es ist nicht mehr zu übersehen: Die Weintrauben glänzen prall und saftig in der Herbstsonne. Die Äpfel verfärben sich rot, die Pflaumen leuchten violett, und auf den Feldern ist die Arbeit an vielen Stellen schon getan. Erntezeit! Jetzt noch einige Sonnentage mit wenig Regen, dann wächst die Hoffnung auf guten und reichen Ertrag.

Viele Ältere schwärmen heute noch von den Erfahrungen ihrer Kindheit, wenn es ans Herbsten ging. Drei Generationen zogen dann in den Wingert, der Weidenkorb mit Brotzeit immer dabei. Es wurde geschafft, erzählt – und abends dann in der schräg stehenden Sonne und mit vom Traubensaft klebrigen Händen gevespert.

Wer einen Garten, ein Feld oder einen Wingert hat, der kann und muss eine Menge dafür tun, damit die Saat aufgeht und die Pflanzen im Herbst reiche Früchte tragen. Da muss beschnitten und gebunden, bewässert und aufgelockert, gehegt und gepflegt werden, Ungeziefer bekämpft werden und der Boden gedüngt.

Und doch: Ob sich all die Arbeit wirklich lohnt – das haben auch der beste Winzer oder der eifrigste Gärtner nicht in der Hand. Ein Hagelsturm zur Unzeit, ein Schädling oder eine Rotte Wildschweine reichen aus, um im schlimmsten Fall alle Arbeit zunichte zu machen. Für die Menschen früherer Tage konnte das existenzbedrohend sein, für Winzer sind solche Ereignisse bis heute ein Risiko, und auch ein Hobbygärtner leidet, wenn die liebevoll gehegten Pflanzen abgerissen am Boden liegen, anstatt sich der Herbstsonne entgegen zu strecken.

In solchen Erfahrungen blitzt wieder auf, was wir in unserer Supermarktwelt oft fast vergessen haben: Dass der Anstrengung auch eine Ernte folgt, ist nicht selbstverständlich. Wir haben es im letzten nicht im Griff. Der Dichter Matthias Claudius hat diese Erfahrung zeitlos schön und klar auf den Begriff gebracht: „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land. Doch Wachstum und Gedeihen liegt in des Himmels Hand.“

Ernte und Missernte: Auch jenseits von Garten und Landwirtschaft kennen wir diese Erfahrungen ja zu gut: Wochenlang für eine Klausur gelernt – und es hat geklappt mit der Versetzung. Gott sei Dank! Aber eben auch: 50 Bewerbungen geschrieben – und nichts erreicht. Immer wieder mit dem Kind die ersten Schwimmzüge geübt – und endlich, es schwimmt allein! Aber auch: Der Versuch, einen alten Konflikt aus dem Weg zu räumen, misslingt, wieder einmal, trotz aller gebauter Brücken und allen guten Willens.

Wir können diese Erfahrungen von Ernte und Missernte, von Gelingen und Scheitern meist ganz logisch erklären. Das gibt uns, wenn es schief gegangen ist, vielleicht einen Lösungsweg für den nächsten Versuch an die Hand. Aber ob es uns hilft, mit den Erfahrungen zu leben, sie zu verstehen?

Am Sonntag ist Erntedankfest. Es erinnert uns daran, dass alle Ernten unseres Lebens eben nicht selbstverständlich sind – für Selbstverständlichkeiten muss man nicht danken. Im Gegenteil: Dass wir überhaupt leben, dazu noch in Frieden und Wohlstand – das ist am Ende Gottes Geschenk. Dass viele unserer Anstrengungen am Ende von Erfolg oder von neuen Lebensmöglichkeiten gekrönt werden, das ist sein Segen. Und jede glänzende Traube dieser Tage erzählt davon!

„Es geht durch unsere Hände, kommt aber her von Gott“, dichtet Matthias Claudius. Gott macht uns zu Mittätern seines Segens. Aber es bleibt sein Segen, nicht unser Verdienst. Das zu erkennen führt in die Dankbarkeit – und die macht das Leben reich, weil wenig Erfahrungen so gut tun wie die, beschenkt und geliebt zu werden.

Und wenn die Ernte ausbleibt? Wir können Gott nicht in die Karten schauen. Wir können auch gewiss nicht aus den Erfolgen der einen und dem Scheitern der anderen ableiten, dass Gott die einen mehr lieht, mehr segnet als die anderen. Wenn die Erntezeit an uns vorbeizieht und unsere Körbe und Keller leer bleiben, dann können wir das Gott klagen, leise oder laut und deutlich. In der Klage wird unser Leid nicht weggezaubert, aber es bekommt eine Adresse, eine Sprache. Wir bleiben damit nicht allein. Wir erinnern Gott an seine Verheißung auch und gerade für uns. Und allein das tut gut und hält die Hoffnung wach.

Und: Die Ernten der einen und die Missernten der anderen tragen noch einen anderen Segenskeim in sich: Das Teilen. Das Abgeben und Annehmen, damit alle leben können. Das gilt im ganz kleinen Maßstab und auch im ganz großen, in einer Gesellschaft, in der die einen immer reicher und die anderen immer ärmer werden.

Wenn wir am Ende zuerst alle von Gott Beschenkte sind; wenn Gott seine reichen Gaben mit uns teilt und seinen Segen an uns weitergibt – dann können wir kaum anders, als unsererseits zu teilen und mit offenen Händen weiterzugeben, was wir selbst empfangen haben. Denn nicht nur das Beschenkt werden tut gut – auch das Schenken, das aus der Dankbarkeit kommt und in die Gemeinschaft führt. Darauf liegt Segen!

Im Namen aller evangelischen und katholischen Kolleginnen und Kollegen in Leimen, Nußloch und St. Ilgen sowie der Seelsorgeeinheit Leimen-Nußloch Sandhausen wünsche ich Ihnen ein gesegnetes Erntedankfest!

Ihr Pfarrer Steffen Groß, Leimen

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