L600 – Stellungnahme von Bürgermeister Georg Kletti
Sandhausen, Gemeinderatssitzung am 27.10.2014 – TOP 4: Rückbau L 600, Beschluss über den Öffentlich-rechtlichen Vertrag, Stellungnahme BM Kletti
Sehr verehrte Damen und Herren,
das Thema „Rückbau der L 600“ beschäftigt die Bevölkerung als auch den Gemeinderat seit sehr langer Zeit.
Anlass für den geplanten Rückbau der L 600 war der Neubau der B 535. Die B 535 war als verbesserte Ost-West-Verbindung zwischen Heidelberg und Schwetzingen konzipiert sowie als Entlastung für die Heidelberger Stadtteile Kirchheim und Rohrbach.
Als naturschutzrechtlicher Ausgleich wurde per Planfeststellungsbeschluss im Jahre 1989 der Rückbau der L 600 zwischen der Kreuzung L 598 (Umspannwerk) und der Einmündung K 4153 (verlängerte Hauptstraße bei Bruchhausen) und im Streckenanschluss bis zur Auffahrt auf die B 535 (Patrick-Henry-Village) ein Rückbau der Straßenbreite von 7,50 m auf 5,50 m. Hierdurch sollte die Landschaftszerschneidung durch die B 535 ausgeglichen werden. Außerdem würde man die L 600 durch den Bau der B 535, so die damalige Auffassung, in ihrer jetzt noch bestehenden Form nicht mehr benötigen.
Damals war für niemanden vorauszusehen, wie sich die Motorisierung der Gesellschaft entwickelt: Im Jahre 1976 – das war das Jahr in dem der Bau der B 535 zum ersten Mal angedacht wurde – waren im Rhein-Neckar-Kreis ca. 176.000 Fahrzeuge zugelassen, aktuell sind es ca. 403.000 Fahrzeuge. Der Verkehr hat sich somit mehr als verdoppelt.
Die Gemeinde Sandhausen weist seit Jahren darauf hin, dass die L 600 als Entlastung weiter erforderlich ist und der Wegfall der Straße zusätzliche Belastungen in straßenverkehrlicher Sicht, vor allem in und um Sandhausen herum, mit sich bringen wird. Wir haben uns nicht nur mit Meinungen begnügt sondern objektive Zahlen durch ein renommiertes Ingenieurbüro ermitteln lassen. Das Ergebnis war eindeutig: Ein Teil des Verkehrs, der derzeit noch über die bestehende L 600 fließt, wird von außen in die bebaute Ortslage von Sandhausen verlagert. Als weitere Konsequenz wird es zu Verkehrsverlagerungen auf die L 598 und die B 535 führen, die bereits jetzt schon in den Stoßzeiten hoffnungslos überlastet sind.
Seit langer Zeit haben sich daher Gemeinderat, Gemeindeverwaltung und die jeweiligen Bürgermeister bemüht, einen anderen Ausgleich an der Natur als den Rückbau der L 600 zu finden. Hierzu haben wir nichts unversucht gelassen. Wir haben mehrere Vorschläge erarbeitet bzw. von externen Experten erarbeiten lassen. Diese wurden jedoch von den drei Naturschutzverbänden (BUND, LNV, NABU) und dem Regierungspräsidium immer wieder als nicht ausreichend abgelehnt.
Nach zahllosen Gesprächen standen letztendlich doch noch vier Ausgleichmaßnahmen zur Debatte. Sie trugen im Wesentlichen die Handschrift des Naturschutzverbandes NABU, wovon drei unkritisch waren und auch die Zustimmung des Gemeinderates fanden.
Diese waren:
1. Verbindung von Sandrasenflächen im Naturschutzgebiet „Pflege Schönau –Galgenbuckel“ in Sandhausen
2. Aufwertung der Landschaft im Umfeld der L 600/B 535 in Bruchhausen und Kirchheim
3. Herstellung von Sandrasenflächen im Naturschutzgebiet „Hirschacker Dossenwald“ in Schwetzingen
Als vierte Maßnahme stand der Rückbau der Straße „Am Forst“ in Sandhausen zur Diskussion. Aber dieser Vorschlag war nach Auffassung von Gemeinderat und Verwaltung wenig zielführend, hätte ein entsprechender Rückbau doch letztlich die gleichen Probleme von Verkehrsverlagerungen bereitet, nur an anderer Stelle. Aus diesem Grund hat der Gemeinderat diesem Vorschlag nicht zugestimmt.
Im November 2010 fand in der Festhalle eine Bürgerversammlung statt. Die überwältigende Mehrheit der Anwesenden hat sich für den Erhalt der L 600 und den Erhalt der Straße „Am Forst“ ausgesprochen. Vor diesem Hintergrund wurde auf der Bürgerversammlung eine Petition beim Landtag in Stuttgart initiiert. Unser Mitbürger, Herr Frank Kleinbongardt, ist hierbei als Petent aufgetreten. Dieser Petition haben sich nahezu 5.000 Personen angeschlossen, naturgemäß überwiegend aus Sandhausen, aber auch aus benachbarten Kommunen.
Der Petitionsausschuss hat sich mehrfach mit dem Thema befasst und hat zweimal die Empfehlung gegeben, dass die L 600 erhalten bleiben solle. Voraussetzung für den Erhalt war jedoch ein geeigneter Ausgleich. Auf Vorschlag des NABU wurde die Maßnahme „Am Brühlweg“, anstelle des Rückbaus der Straße „Am Forst“ als vierte Ausgleichsmaßnahme ins Spiel gebracht. Dieser Vorschlag wurde vom Petitionsausschuss und der Gemeinde Sandhausen für gut und vor allem geeignet befunden. Hierbei sollen naturraumtypische Wintergrün- und Weismoos-Kiefer-Wälder sowie offene Sandrasenflächen hergestellt werden.
Eine weitere Voraussetzung war, dass ein Öffentlich-rechtlicher Vertrag zustande kommt, in welchem die Beteiligten (Regierungspräsidium, Forstverwaltung, Stadt Heidelberg und Schwetzingen, Gemeinde) ihre Zustimmung zu diesem Ausgleich geben.
Konnten wir anfangs optimistisch sein, dass dieser Vertrag, unter für alle Beteiligten akzeptablen Bedingungen, zustande kommt, so hat sich die Lage nun grundlegend geändert:
Teile der Naturschutzverbände, insbesondere der BUND, stehen dem Ausgleichkonzept weiterhin sehr kritisch gegenüber und es ist sehr wahrscheinlich, dass von dort aus Klage gegen den Erhalt der L 600 geführt wird. Dies wurde bereits mehrmals angekündigt.
Hinzu gesellt sich die Tatsache, dass die Zustimmung der Stadt Heidelberg zum Öffentlich-rechtlichen Vertrag bisher nicht erteilt wurde. Im Gegenteil: In einem mit großer Mehrheit verabschiedeten Beschluss fordern die Mitglieder des Heidelberger Bau- und Umweltausschusses das Regierungspräsidium auf, den Rückbau der L 600 endlich zu vollziehen, da die vorliegenden Ausgleichmaßnahmen für sie nicht akzeptabel seien. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass bei einer erneuten Beratung im Heidelberger Stadtrat eine Meinungsänderung eintritt. Damit ist aber eine wesentliche Voraussetzung nicht erfüllt, denn wie eingangs ausgeführt, ist die Zustimmung der Stadt Heidelberg zwingend erforderlich.
Neben diesem „KO-Kriterium“ haben sich weitere Schwierigkeiten im Vertrag herausgestellt, welcher uns vom Regierungspräsidium vorgelegt wurde.
Der Vertrag birgt für unsere Gemeinde erhebliche Auflagen, Risiken und Kosten. Alle Aufgaben sind auf die Gemeinde Sandhausen übertragen und die Gemeinde trägt das alleinige Risiko im Falle des Scheiterns. Das Ganze soll dann auch noch dauerhaft und auf unbegrenzte Zeit erfolgen. Der Vertrag, so wie er uns vorliegt, ist nicht mehr verhandelbar. Dies wurde uns unmissverständlich dargelegt:
Konnten wir anfangs davon ausgehen, dass finanzielle Beteiligungen an den entstehenden Mehrkosten, welche über die ersparten Aufwendungen für den unterbleibenden Rückbau der L600 hinausgehen, durch das Land erfolgen, so hat sich dies grundlegend geändert. Die Gemeinde Sandhausen soll nun sämtliche Mehrkosten für die Erstellung und die Pflege der Ausgleichmaßnahmen alleine tragen.
Hinzu kommt noch, dass der Abschnitt der ehemaligen Landstraße 600 zwischen dem Umspannwerk und Bruchhausen in der Unterhaltungspflicht der Gemeinde Sandhausen verbleiben soll, welche weitere Kosten, wie z.B. Instandsetzungskosten, mit sich bringen würden. Konkret bedeutet dies, dass die dringend notwendige Sanierung dieses Straßenabschnittes von Sandhäuser Steuergeldern finanziert werden soll, obwohl die Straße eine überörtliche Funktion hat und der größte Teil der Nutzer keine Sandhäuser Bürger sind.
Somit würden sich in Summe die Mehrkosten für die Erstellung der vier Ausgleichmaßnahmen sowie für die Instandsetzung des soeben beschriebenen Straßenabschnitts circa 750.000 Euro betragen. Diese sind laut der Vorgabe alleine von der Gemeinde Sandhausen zu tragen. Die hinzukommenden Pflegekosten der vier Ausgleichmaßnahmen würden circa 50.000 Euro im Jahr betragen. Diese Kosten müssten ebenfalls von der Gemeinde Sandhausen getragen werden und zwar zeitlich unbegrenzt, also bis in alle Ewigkeit!
Desweiteren müsste die Gemeinde laut dem vorliegenden Vertrag das Risiko für die im Zusammenhang mit der Planung und Verwirklichung des Alternativkonzeptes entstandenen Kosten alleine tragen. Könnte das Alternativkonzept, aus welchen Gründen auch immer, nicht komplett umgesetzt werden oder wäre die Klage eines Verbandes oder einer Privatperson erfolgreich, könnte die Gemeinde hierfür keine Erstattung oder Entschädigung für entstandene Kosten verlangen. Andererseits müssten im Falle des Scheiterns bereits zur Verfügung gestellte und ausgegebene Gelder, die ursprünglich für den Rückbau der L 600 vorgesehen waren, wieder von der Gemeinde zurückgezahlt werden, um den dann doch noch zu vollziehenden Rückbau der L 600 zu finanzieren.
Nebenbei sei noch folgendes erwähnt: Naturschutzrechtliche Ausgleichmaßnahmen werden in Ökopunkten bewertet, damit sie verglichen werden können. Der Rückbau der L 600 bringt nach der sogenannten „Ökopunkteverordnung“ circa. 350.000 (350 Tsd.) Ökopunkte. Die vier umzusetzenden Ausgleichmaßnahmen sind mit circa. 6.000.000 (6 Mio.) Ökopunkten bewertet. Der Vertragsentwurf sieht vor, dass die überschüssigen Ökopunkte nicht für eine andere Maßnahme, gleich welcher Art, verwendet werden dürfen. Wir müssen also einen Ausgleich bringen, der laut Ökopunkteverordnung siebzehnmal höherwertiger ist und wir dürfen diesen Überschuss nicht für andere Zwecke verwenden. Und diese Ökopunkte könnte die Gemeinde Sandhausen gut gebrauchen, sei es für zukünftige Bauleitplanungen oder sonstige Maßnahmen, welche naturschutzrechtlich ausgeglichen werden müssen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
als Bürgermeister bin ich mir meiner Verantwortung gegenüber den Menschen in Sandhausen voll bewusst. Aus diesem Grunde hat nicht nur der Gemeinderat, sondern auch ich in dieser Sache immer Kompromissbereitschaft gezeigt. Wir haben in unzähligen Gesprächen mit Ministern, Abgeordneten, mit dem früheren Regierungspräsidenten und der aktuellen Regierungspräsidentin, mit den Naturschutzverbänden sowie mit den politischen Entscheidungsträgern Heidelbergs die Situation erörtert und verhandelt und wir waren als Sandhäuser auch bereit, erhebliche finanzielle Aufwendungen in den Erhalt der L 600 zu investieren, um das Interesse unserer Einwohner zu wahren. Dennoch reift die Erkenntnis, dass es Kräfte in unserer Gesellschaft gibt, die darauf hinarbeiten, dass die L 600 zurückgebaut wird.
Man muss die Lage realistisch einschätzen und ich möchte es am Schluss meiner Ausführungen auf den Punkt bringen: Es wird uns seitens sehr mächtiger Verbände mit Klage gedroht, notwendige Unterschriften werden verweigert und es liegt ein Vertragswerk vor, das darauf abzielt, die Gemeinde Sandhausen bis in alle Ewigkeit in einem hoch unausgewogenen Vertragsverhältnis festzuhalten.
Deshalb bin ich für mich persönlich zu dem Entschluss gekommen, dem vorliegenden Vertrag nicht zu zustimmen, mit der Konsequenz, dass wir den Kampf um die L 600 letztendlich doch verloren haben und diese Straße nun, wie vor 26 Jahren beschlossen, in naher Zukunft zurückgebaut wird!
Hinweis der Redaktion: Lesen Sie hierzu auch den Hauptartikel und die Stellungnahme von Bürgermeister Georg Kletti und den Fraktionsvorsitzenden.
- Öko-Desaster: L600 wird nun doch Feldweg – Sandhäuser Rat lehnt Knebelvertrag ab
- Stellungnahme von Bürgermeister Georg Kletti
- Stellungnahme der SPD-Fraktion durch Werner Berger
- Stellungnahme der CDU-Fraktion durch Robert Hoffmann
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